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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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aus: Nach unseren Beobachtungen wird (der eigentlich vorgeschriebene) Akkusativ in Wendungen wie etwas ins Zentrum rücken etc. mehr und mehr vermieden. Auch Deutsche ohne Migrationshintergrund gebrauchen mehr und mehr dieses Modell:
    â€“ Der Chef stellt die Lösung des Problems in der Verantwortung seiner besten Mitarbeiter.
    â€“ Wir fahren nächstes Jahr wieder nach Griechenland im Urlaub .
    â€“ … und legte das Jesuskind in einer Krippe . (Weihnachtspredigt 2012)
    Verblüffend ist nun, dass die Vertauschung von ORT und RICHTUNG auch in umgekehrter Richtung stattfindet, also RICHTUNG für ORT, und dies ist letztlich das eigentlich relevante Phänomen in Bezug auf den Sprachwandel. Nicht selten kann man im selben Zusammenhang beide Varianten zusammen hören.
    In einer TV-Sendung über Haie:
    â€“ ORT für RICHTUNG: John trifft Maßnahmen, um den Hai möglichst eng an seinem Käfig heranzulocken.
    â€“ RICHTUNG für ORT: Er will versuchen, den Hai möglichst eng an seinen Käfig zu halten.
    Oder:
    â€“ ORT für RICHTUNG: D ie Politiker fuhren am nächsten Tag auf einem Finanzgipfel .
    â€“ RICHTUNG für ORT: Auf diesen Gipfel ging es um Dinge wie den Schuldenschnitt für Griechenland.
    In der Balkanlinguistik hat man schon lange festgestellt, dass das Vertauschen von ORT und RICHTUNG Sprachen durch eine intensive Phase des Kasusabbaus begleitet (Qvonje 1979). Alle Balkansprachen, die ihr Kasussystem reduziert oder ganz abgebaut haben, haben zu diesem Verfahren gegriffen: Im Bulgarischen z.B. zeigte die ständige Verwechslung von ORT und RICHTUNG und deren Kasus im Mittelalter den unwiderruflichen Beginn des Kasusabbaus in großem Ausmaß an – eine Art Startschuss für die Umgestaltung des gesamten Systems.
    Wichtig ist festzuhalten, dass es sich im Deutschen bereits um eine systematische Erscheinung handelt, die eine kognitive Disposition voraussetzt und bereits regelmäßig angewendet wird. Sie spielt eine bestimmte Rolle im Sprachwandel und treibt ihn mit an. Es ist kein Zufall im Spiel, es sind keine Versprecher, keine Nachlässigkeiten oder sonstige ‹Fehler›. Große Korpora spontan gesprochener Sprache, aber auch die schriftliche Mediensprache mit ihren ‹Druckfehlern› würden dies ohne Zweifel erweisen. Eine starke Quelle hierfür sind die Migrantensprachen, aus denen nur noch kopiert werden muss.
Gegentendenz 2: Das Modell meiner Mutter ihr Hut
    Die Konstruktion meiner Mutter ihr Hut wird oft und gern als ein Ersatz für den alten Genitiv zitiert; sie ist bekannt unter dem Stichwort ‹possessiver Dativ›. Dieses Modell scheint tatsächlich – zumindest in Jugendslangs – mehr und mehr das alte Genitiv-Modell der Hut meiner Mutter zu ersetzen. Am bekanntesten ist immer noch die Titelzeile von Bastian Sicks Buch Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod , wo das Modell stellvertretend steht für die aktuellen Sprachwandelprozesse des Deutschen insgesamt.
    Das Modell meiner Mutter ihr Hut ist in vielen deutschen Dialekten bekannt, z.B. im Berlinischen, aber auch in anderen Dialekten (Henn-Memmesheimer 1985). Zuerst kommt der Besitzerim Dativ ( meiner Mutter ), dann erst das, was man besitzt (der Hut), das mit einem Personalpronomen versehen wird, das auf den Besitzer verweist und mit ihm im Geschlecht übereinstimmt: meinem Bruder sein Auto . Im Deutschen kommen als Quellen in Frage: Substandard (Soziolekte), Dialekte und Migrantensprachen.
Der Dativ als Besitzanzeiger in Migrantensprachen
    Der Dativ als Anzeiger des Besitzes ist in vielen Sprachen verbreitet, besonders aber in Migrantensprachen.
    Das Türkische hat exakt das Vorführmodell. Başka-nin ev-i ‹das Haus des Präsidenten› entspricht in seiner Struktur genau dem Modell ‹meiner Mutter ihr Hut›: PRÄSIDENT-DEM HAUS-SEIN, ‹dem Präsidenten sein Haus›. Die Bulgaren haben dieses Modell exakt aus dem Türkischen kopiert und es ins System übernommen: na presidenta kăštata mu ‹dem Präsidenten sein Haus›. Warum sollte sich dieses Modell unter dem Einfluss des Türkischen nicht auch ins heutige Deutsch verbreiten?
    Im Arabischen wird ein wichtiger Ausdruck von Besitz im Sinne von ICH HABE ETWAS mit dem Dativ ausgedrückt, etwa nach dem Muster DEM AHMAD/ IST /EIN NEUES AUTO ‹Achmad hat ein neues Auto›, meist mit den Präpositionen li - (‹für/gehörig
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