Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
«türkische Migrantenpopulation weit ausdifferenziert und umfasst sowohl soziale Formationen, die das Potential einer ethnisch ausgerichteten, von der Mehrheitsgesellschaft abgeschotteten Gemeinschaft in sich tragen, als auch solche, die weltoffen und international agieren und in vielen Lebensbereichen erfolgreich sind.» (Keim 2004, 199)
Es gibt mittlerweile eine ganze Kette sozialer Gruppen, die die Entwicklung in der türkischen Diaspora nachzeichnet und denen jeweils eine andere türkisch-deutsche Varietät zugeordnet werdenkann: die sogenannten Ghettotürken, die «Powergirls», die «Unmündigen», die «Europatürken», bis hin zu türkischstämmigen Journalisten, Rechtsanwältinnen, Ministern und KulturgröÃen, die auf eine enge â¹Zugehörigkeit⺠zu türkisch-deutsch definierten Sozialgruppierungen wahrscheinlich kaum noch Wert legen. Wenig in Erscheinung tritt auch eine bereits gut integrierte, aufwärtsmobile Mittelschicht, die perfekt zweisprachig und sozial unauffällig ist. Diese Hierarchie ist im Prinzip bildungs- und statusorientiert und mag die ganze Bandbreite der türkischen Gemeinde andeuten, die sich als ganze wiederum von den â¹echten⺠Türken in Ankara oder Erzurum unterscheidet.
Die Mannheimer â¹Powergirlsâº
Es gibt einen Weg aus dem Ghetto, der mahalla , dem Quartier der GroÃstädte, das so gern als multikultureller â¹Kiez⺠mit buntem Treiben verniedlicht und idealisiert wird: Wo sich die Parallelgesellschaft heftig eingenistet hat â Reisebüro, Moschee, Metzger und çayhane (Teestube) â und wo man das Deutsche eigentlich kaum noch braucht. Hier konnte man eintauchen, diverse Schutzfunktionen genieÃen und sich unter dem Baldachin von Sprache, Familie und Stadtviertel bis auf weiteres einrichten. Es ist dies das Milieu, in dem sich in Zeiten der dritten Generation Phänomene wie eine ethnisch-kulturell-religiöse «Neoorthodoxie» (Inken Keim) bilden konnte â ein kleines Inland des Eigenen, in dem das Leben auÃerhalb nicht nur nicht als Heimat, sondern als Fremde empfunden wird. Und dies strahlt auch auf die Sprache aus: «Die Selbstdefinition steht dabei in enger Relation zur Familiensprache; â¹Türkisch⺠sein bedeutet â¹Türkisch⺠sprechen.» (Keim 2004, 202)
Der Weg aus der Parallelgesellschaft in die Gesellschaft und den Ersten Arbeitsmarkt führt über Bildung, Selbstbewusstsein und den Mut zur Ambivalenz, über das Talent, in mehreren Welten zuhause zu sein, ohne ständig darüber nachzugrübeln, â¹wer man istâº. Nach vierzig Jahren verfehlter Integrationspolitik nehmen es die Bürger endlich selber in die Hand, am Status quo zu rütteln und ihr Recht auf Integration in die Tat umzusetzen. Ein Musterbeispiel für diesen gewandelten sozialen Horizont ist eine Gruppe, die in der Forschung â¹Mannheimer Powergirls⺠(Inken Keim) genannt wird. Sie entstammt den Mannheimer Brennpunkten(Stadtteil â¹Jungbuschâº), in denen fast ein Viertel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat und wo Türken den Hauptanteil stellen.
Ihr weiterer sprachlicher Hintergrund ist immer noch das «Ghettodeutsch» (Inken Keim) oder «Kiezdeutsch» (Heike Wiese) â also jene Jugend-Varietät multiethnischer Viertel, die auf dem Wege vom Pidgin zum Jugendstil viele Funktionen in den Ingroups erfüllt (Abschnitt 20). Ãber diesem Jugendslang wölbt sich aber mittlerweile eine ganze Skala von entwickelteren Sprechstilen, die mit türkischen und deutschen Anteilen experimentieren. Alle sind Zeichen für Emanzipation, und zwar sowohl von der türkischen Ghettowelt wie von der etablierten Welt der Mehrheitsgesellschaft. Einer dieser neuen Sprechstile ist das Türkisch-Deutsch der sogenannten â¹Powergirls⺠mit ihrem Hin-und-her-Springen zwischen zwei (Mutter)Sprachen (Codeswitching). Sie mögen stellvertretend stehen für viele weitere (Jugend-)Gruppen, die hier nicht genannt werden.
Wer sind die â¹Powergirlsâº?
«Powergirls sind zwischen fünfzehn und zwanzig Jahre alt, Kinder ehemaliger türkischer Gastarbeiter, in dem untersuchten Stadtgebiet aufgewachsen und zur Grundschule gegangen. Sie schlossen sich als Powergirls zusammen, einerseits in Opposition zu dem Leitbild der traditionellen türkischen Frau (â¦) und andererseits in Abgrenzung und Opposition zu
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