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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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schon in der Muttersprache Konjunktionen fremd sind, im Switching eher nach irgendeiner deutschen Konjunktion aus dem weiteren Umfeld greifen, die irgendwie passt:
    â€“ Gelecek sene Istanbulda olmacağım/ aber [türkisch ama ] noch in Berlin bleiben ‹nächstes Jahr werde ich nicht in Istanbul sein/ sondern noch in Berlin bleiben.›
    CS ist per se gerichtet auf die Isolation von Satzteilen und Wortgruppen, was Reduktionen nach sich ziehen muss. Das abrupte Nebeneinanderstellen von Wörtern und Satzkomponenten im CS verändert das Bewusstsein von ‹exakter› Grammatik offenbar langsam, aber grundlegend. Ein so verändertes Bewusstsein liegtwahrscheinlich vielen Veränderungen in der deutschen Umgangssprache ursächlich mit zugrunde.
    Wir halten fest:
    Codeswitching ist eine hybride Mischform aus zwei Sprachen und definiert ihre Sprecher neu. Es ist eine kognitive Größe, die sich sprachlich auswirkt und der spontanen Veränderung einer gegebenen Grammatik zuarbeitet. CS ist das ideale Umfeld nicht nur für die Relativierung der einzelsprachlichen Grammatik, sondern auch für grammatische Interferenzen und Veränderungen jeglicher Art. Diese Interferenzen wiederholen sich und bilden irgendwann eine sichere Quelle für Veränderungen auch auf Seiten der deutschen Muttersprachler.
    Hinter den Vorteilen, die das CS für die Sprecher mit sich bringt, lauern natürlich auch Nachteile, weil das CS immer auch eine Art Parallel-Code zur Mehrheitssprache Deutsch und zur Migranten-Herkunftssprache ist. Es ist also – zumindest auf lange Sicht – für den neuen Horizont auch ein Preis zu zahlen. Offenbar kann CS sich auch negativ auf die Kompetenz in der Einzelsprache auswirken. Banaz (2002) zählt auf (ich formuliere etwas um):
    Â Â 1. Verlust der Fähigkeit, einen Dialog in einer Sprache auch zu Ende zu führen.
    Â Â 2. Verlust der Fähigkeit, anspruchsvollere (einsprachige) Texte sicher hervorzubringen.
    Â Â 3. Verlust der Fähigkeit, verschiedene Texte und Textsorten zielsicher voneinander zu unterscheiden.
    Â Â 4. Verlust der Geschicklichkeit innerhalb des Reichtums von Wortschatz und Bedeutungen in einer Einzelsprache.
    Ergänzen kann man den Katalog noch durch den Punkt:
    Â Â 5. Verlust des Bewusstseins der Exaktheit im Bereich der einzelsprachlichen Grammatik.
17. TÜRKISCH-DEUTSCH: DIE «POWERGIRLS», DIE «UNMÜNDIGEN», DIE «EUROPATÜRKEN»
Die türkischen sozialen Gruppen und ihr Codeswitching
    Die wichtigsten sozialen Gruppen der türkischen Gemeinde in Deutschland haben sich nach und nach aus der Gastarbeitergenerationder 1960er und −70er Jahre entwickelt. Und auch ihre Sprachen oder Ethnolekte sind ohne das Türkisch und Deutsch ihrer Mütter und Väter nicht denkbar. «Türkisch in Deutschland: eine Gastarbeitersprache wird zur ‹Leitsprache› der neuen sprachlichen Minderheiten.» So überschreibt Peter Auer das 1. Kapitel seines Buches «Türkisch sprechen nicht nur die Türken». Treffender kann man es nicht sagen: Die Rolle des Türkischen wie auch des Tandems Deutsch-Türkisch hat sich in den letzten 40 Jahren tiefgreifend gewandelt: Das Türkische hat sich in viele Varietäten verzweigt, es ist Motor des Kiezdeutsch, es nimmt mit dem Deutschen an neuen Mischvarietäten teil und es übt neue übergreifende soziale Funktionen in den Großstädten aus. Wer also die Veränderungen des Deutschen im Blick hat, kommt am Türkischen und seinen neuen Ethnolekten nicht nur nicht vorbei, sondern darf sogar auf weitergehende Einsichten hinsichtlich der deutschen Sprachsituation insgesamt hoffen.
Eine kurze Geschichte des Türkischen in Deutschland
    Sie beginnt beim Gastarbeiterdeutsch der 1960er Jahre. Hier ist die Studie von Inken Keim (1978) immer noch die reichste Fundgrube (Abschnitt 14). Das Gastarbeiterdeutsch war wie dargestellt ein Pidgin, ganz unabhängig davon, wie es sich im weiteren entwickelt haben mag und welche Ethnien es gesprochen haben. Seit den 1980er Jahren verzweigt sich die erste Gastarbeitergeneration in eine ganze Vielfalt von sozialen Gruppen, Varietäten und Sprechstilen, die alle das Verhältnis Deutsch-Türkisch/Türkisch-Deutsch modellieren, typische Mischformen hervorbringen (z.B. Codeswitching) und wichtige Informationen liefern zu den aktuellen Sprachwandelprozessen des Deutschen. Heute ist die

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