Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Ressentiments umso schneller schwinden werden, je mehr sich an Sprach- und Kulturkenntnissen aufbauen lässt.
«Die Entwicklungskarrieren der â¹Powergirls⺠zeigen, dass auch aus dem Ghetto heraus die Ausbildung eines eigenständigen Selbstbildes und der Erwerb sozialer und kommunikativer Kompetenzen gelingen können, die die gleichberechtigte Teilhabe an zentralen Bereichen der Mehrheitsgesellschaft ermöglichen.» (Inken Keim) Der Kommunikationsstil der Powergirls könnte jedenfalls dazu beitragen, das Selbstbild vieler Türken in Deutschland neu aufzulegen und so Parallelgesellschaften â¹von innen her⺠überflüssig zu machen. Halten wir hier fest:
Die Beherrschung der beiden CS-Sprachen ist nicht absolut, sondern relativ. Sie unterliegt keiner Kontrolle, rechtfertigt sich ad-hoc selbst. Ausschlaggebend ist allein die zweisprachige Praxis und die relative Geltung von Sprachen. â¹Fehler⺠gelten in der Gruppe nicht als grammatische Defizite, sondern als Signale von grammatischer Freiheit und sozialer Eigendefinition.
Dass das CS in der türkischen Gemeinde auch noch andere Funktionen hat, zeigen zwei weitere Gruppen: die «Unmündigen» und die «Europatürken» (Eigenbezeichnungen).
Die «Unmündigen»
Eine weitere Gruppe «emanzipatorischer Migranten» (Eigenbezeichnung) mit einem speziellen Migrantendeutsch sind die sogenannten «Unmündigen» (Cindark 2004). «Im Gegensatz zu Milieus, die sich ethnisch definieren und herkunftsorientiert sind, setzen sich diese mit provokativen, ironischen und Perspektiven umkehrenden Verfahren mit Marginalisierungserfahrungen im Einwanderungsland auseinander. Auch diese Gruppe hat sich Anfang der 90er Jahre herausgebildet. Die Unmündigen sind im Prinzip nicht auf die türkische Ethnie fixiert, sondern können auch bosnische, griechische oder italienische Vertreter haben; ihre Elite ist aber türkisch, genauer: türkisch/kurdisch.» (Ibrahim Cindark)
Im kulturellen Milieu sind ihre bekanntesten Vertreter der Schriftsteller Feridun ZaimoÄlu (â¹Kanak Sprakâº) und der Filmemacher Fatih Akın. Die wichtigsten Aktivitäten sind Podiumsausstellungen, Kabarett, politische Punkt-Aktionen und Dokus â die allesamt an einer â¹ungeschminktenâº, also: nicht durch Political Correctness verschatteten Geschichte der Migration arbeiten. Deshalb ist ihr kommunikativer und sprachlicher Stil â¹emanzipatorisch⺠zu nennen und darauf gerichtet, den vermuteten versteckten Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu entlarven. Im Kontrast zu den Grünen etwa verzichten sie auf Opferstilisierung, Relativierung und Verständnispression. Sie sind gezielt auf das Einwanderungsland orientiert und leisten den Deutschen wichtige Dienste, indem sie sie mit nationalen Symbolen zu spielen lehren und ihnen dadurch eine längst verloren gegangene Humorebene wieder vor Augen führen.
Die Interaktionssprache der Unmündigen ist deutsch, ihr Identitätsschema deutsch. «Neben der Dominanz des Deutschen sind für die Kommunikationspraxis der â¹Unmündigen⺠(â¦) Codeswitching und code-mixing (â¦) charakteristisch.»[ 15 ] «Die Codeswitching-Praxis zeichnet sich dadurch aus, dass die Teilnehmer auf die Interaktionssprache Deutsch orientiert sind und kleinräumig in einen anderen Code wechseln.» Deutsch ist also die Basissprache und Türkisch die sekundäre Sprache, die «embedded language». In der Textpraxis erweist sich aber, dass das CS auÃerordentlich dicht ist, und sobald man sich einer kritischen Grenze nähert, ist es nicht mehr eindeutig möglich, den verwendeten Sprachen einen eindeutigen Status zuzuschreiben.
Die switches der Unmündigen sind in aller Regel bedeutungsvoll, sie sind irgendwie interaktionell motiviert, d.h. sie markieren immer einen interaktiv bedeutsamen Schritt. In der Regel erfüllen sie vorrangig eine «lokale Funktion», sie managen den Gesprächsablauf und die Interaktion. Solche Schritte sind z.B. der Wechsel von Scherz zu Bitte, von Argument zu Gegenargument, von Behauptung zu Kommentar, von Aussage und Zustimmung. Das CS ist strukturell dem der Powergirls vergleichbar, wirkt aber «anspruchsvoller» und weist eine wechselnde «Dichte» deutscher und türkischer Anteile auf. Ein typisches Beispiel sieht so aus[ 16 ] (Material in Cindark 2004):
â Wieso [fragst du]
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