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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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einhundertprozentig türkische Ausdrucksweise mit komplizierter Grammatik besinnen. (Sie vermeiden das ‹Deutschland-Türkisch› – also keine deutschen Muster, möglichst keine Konjunktionen, keine Relativpronomen, keine Nebensätze, sondern gepflegter hochtürkischer Satzbau.) Dieses hyperkorrekte Türkisch führt natürlich seinerseits zu Problemen, weil niemand ein konstruiertes Kunst-Türkisch ständig aufrechterhalten kann. Deshalb gibt es auch hier durchaus eine Variation von türkisch-deutschen Sprechstilen. Aslan (2005, 336f.) entwirft das folgende Bild:
    Da ist der Sprecher am türkischen Pol, der streng türkisch ist und alles Switching vermeidet oder gleich repariert, als hätte er ungewollt einen faux pas begangen:
    S1: … diğeri de şeyi bitirmiş internationales bwl oder so
    â€¹â€¦ der andere hat Dings abgeschlossen, internationales BWL oder so›
    S2 (‹repariert›): … uluslar arası işletme ‹internationales BWL›
    Deutsch wird allenfalls verwendet, um deutsche Verhaltensweisen zu kommentieren oder zu kritisieren, Zitate zu bringen oder die Deutschen zu parodieren – und hat damit lediglich eine wertende Funktion:
    S1: peki sorunca ne cevap ediyorum: yani wo/wo kommen Sie her?
    â€¹und was antworte ich wenn ich gefragt werde: also wo/wo kommen Sie her?›
    S1 (bügelt das Deutsche aus): aus der Türkei diyorum yani şey almanyada doğdum ama türk
    â€¹aus der Türkei sag ich dann, hier in Deutschland geboren, aber türkisch›
    Fast lächerlich wird es dann, wenn Begriffe, die unumstößlich deutsch sind (und normalerweise auch deutsch eingeswitcht werden), aus ideologischen Gründen nun künstlich ‹vertürkt› werden: Dann wird aus dem Härtefall ein umständliches evsiz barksız yurtsuz (‹ohne Haus, ohne Familie, ohne Heimat›), aus der Sonderschule ein sinnentstellendes zihinsel özürlü okullar ‹geistig behinderte Schulen› – wo viele kaum noch verstehen, was genau gemeint ist.
    Da ist der Sprecher ‹am türkisch-deutschen Pol›, sozusagen zwischen den Stühlen sitzend, der schon mal locker zwanzig bis fünfzig Prozent deutsch zulässt, in offiziellen Situationen jedoch deutlich weniger. Je näher am Alltag, desto näher am Deutschen:
    S.: … asıl korkuyular/vielleicht weil sie jetzt nicht das gewohnte dort finden können
    â€¹im Grunde haben sie Angst …/vielleicht weil sie jetzt nicht das gewohnte dort finden können›.
‹Deutschland-Türkisch›
    Während die Linguisten sich noch nicht recht an den Einfluss der Migrantensprachen auf das Standarddeutsche heranwagen, hat das Deutsche seinerseits längst – leiser Kommentar der Zeitläufe – die Migrantensprachen beeinflusst, in diesem Fall das Türkische. Dies zu untersuchen, hatte schon der international bekannte Turkologe Lars Johanson in den 1980er Jahren gefordert, blieb aber in dieser Hinsicht lange ungehört (es war nicht die Zeit). Es geht um die Frage, ob das Türkische in Deutschland Veränderungen zeigt, die vom Deutschen herrühren und es so vom Türkei-Türkischen entfernen. Intuitiv bejaht das der Linguist, denn es wäre seltsam, wenn es nicht so wäre: Jede Herkunftssprache muss sich unter dem jahrzehntelangen Einfluss der Landessprache selbst verändern.
    Einige dieser Veränderungen sind zu offensichtlich, als dass man an einem Einfluss des Deutschen noch vorbeikommen könnte. Natürlich ist noch nicht erforscht, in welchem Ausmaß deutsche Züge ins ‹Deutschland-Türkische› auch wirklich nachhaltig eingreifen. Aber wenn die ‹Fehler› nur gegen zehn Prozent gehen sollten, wäre dies bereits ein bedeutendes Symptom.
    Schon ein erster Überblick über die Belegfälle erweckt den Anschein, als ob «kaum ein Bereich des Türkischen von Deutsch-einflüssen verschont geblieben wäre» (Cindark/Aslan 2004, 3). «Die Zwei- und Mehrsprachigen haben das Bedürfnis, alles, was in der L[anguage] B ausgedrückt werden kann, auch in der L[anguage] A auf vergleichbare Weise auszudrücken.» (Cabadağ 2001, 247) Also alles, was man deutsch sagen kann, dann auch auf Türkisch zu formulieren, was dann Überschneidungen und ‹Fehler› geradezu herausfordert. (Diese psychologische Binsenweisheit gilt sicher nicht nur für

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