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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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das Tandem Türkisch-Deutsch). Türken, die mindestens eine längere Zeit in Deutschland einen Lebensmittelpunkt haben, weichen mit der Zeit vom Standardtürkischen ab und verwenden (auch) deutsche Muster.
    Sie
    drücken die Mehrzahl auf deutsche Art aus, also mehrfach: iki melekler geldiler ‹zwei Engel kamen› vs. echttürkisch iki melek geldi ;
    verwenden oft ve als Bindewort nach deutsch und (anstatt anderer, ‹türkischer› Möglichkeiten);
    setzen Pronomen an eigentlich überflüssigen Stellen, was ziemlich deutsch klingt:
    â€“ deutschland-türkisch: ben bir sene sonra yatay geçiş yaptım frankfurta geçtim ‹ ich habe ein Jahr später einen gleitenden Studienplatzwechsel vollzogen nach Frankfurt› vs. echttürkisch ohne ben: _ bir sene sonra yatay geçiş yaptım frankfurta geçtim;
    lassen bei Fragen die allgegenwärtige türkische Partikel MI nach dem Erfragten einfach weg:
    â€“ deutschland-türkisch: duydun _ cemile ? ‹Hast du gehört, Cemile?› vs. echttürkisch: duydun mu cemile ?
    verwenden immer öfter die ‹europäische Technik› und benutzen Nebensätze mit Konjunktion:
    â€“ deutschland-türkisch: eğer sol gözünü bir kez kırparsa ‹wenn er einmal mit seinem linken Auge zwinkerte› vs. echttürkisch ohne Konjunktion: _ sol gözünü bir kez kırparsa .
    Das mag auf den ersten Blick noch nicht sehr viel sein. Solche Züge sind aber grundständig, und wenn sie nur einigermaßen nachhaltig sind, wird das Türkische klar ‹deutscher›. «Sicher kann man wohl noch nicht von einer systematischen, jedoch von einer sukzessiven Sprachentwicklung und Sprachveränderung sprechen.» (Tuncer Cabadağ)
    Sieht man noch genauer nach, trifft man auch auf Änderungen, die direkt mit dem neuen Strukturwandel des Deutschen zusammenhängen.
‹Deutschland-Türkisch› und der deutsche Sprachwandel
    Unübersehbar sind die Schwankungen im Bereich der Fälle, die aus dem Deutschen sattsam bekannt sind (Abschnitt 21) und in der dritten Generation z.B. durch Codeswitching weiter befördert werden.
    Der Kasus wird weggelassen:
    â€“ deutschland-türkisch: parktaki kadınlar_ dedikoduları ne üzerine ? ‹Die Frauen im Park, worüber geht ihr Geschwätz?›
    vs. echttürkisch: kadınlar- ın ‹der Frauen Genitiv ›.
    Der Kasus wird verwechselt oder vermischt, statt Dativ (- a ) wird Akkusativ (- ı ) gesetzt:
    â€“ deutschland-türkisch: hayatın- ı bi (…) bakıp ‹so auf sein Leben schauend› vs. echttürkisch: hayatın- a bi (…) bakıp.
    Besonders krass sieht es bei türkischen Verben aus, die notorisch mit einem falschen Kasus gebraucht werden (wie so oft auch im Deutschen!). Die umfangreiche Tabelle der Belegfälle im Türkischen der Powergirls wie der Europatürken (Cindark/Aslan 2004, 15) zeigt, dass die zahlreichen Schwankungen ganz unabhängig vom Bildungsgrad vorkommen und dass praktisch alle Kasus nach obigem Muster verwechselt werden. Dies ist im Kern natürlich der Mehrsprachigkeit geschuldet, aber auch die Parallelen zur Situation im Deutschen sind unübersehbar. Denn wenn Kasusabbau schon im ‹Deutschland-Türkischen› ziemlich regelmäßig vorkommt, wie sollte dies denn keine Verbindung zum gesprochenen Neudeutschen haben, in dem ganz ähnliche Phänomene auftreten?
    Die gleichen Schwankungen und ‹Fehler› kehren schließlich auch im schriftlichen Türkisch wieder (das von der mündlichen Praxis beeinflusst ist). Aytemiz (1990, 45–68) hat die Abweichungen zweisprachiger Schüler erforscht, die mit dem Einfluss des Deutschen und der alltäglichen Sprachpraxis zusammenhängen. Darunter waren viele, die sich auch in der deutschen Umgangssprache wiederfinden. Auch hier gibt es falsche Mehrzahl, Verwechslung und Wegfall des Kasus, falsche Zeiten und vieles mehr.
    Interessant wäre, genauer zu untersuchen, wieviele direkte Analogien Türkisch-Deutsch es hier geben mag. Denn sicher ist, dass die ‹Fehler› im ‹Deutschland-Türkischen› wieder auf das Deutsche zurückwirken und dort die Grammatik weiter schwächen. Hier wären mutige Linguisten aufgerufen, Scheuklappen abzulegen und den Bogen der Simplifizierungen vom Migrantendeutsch zur deutschen Umgangssprache zu schlagen: denn

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