Mum@work: Roman
das wir nun Leon mitbringen. Sie hat mich nach >dem anderen Mann< gefragt, der bei uns auf dem Sofa gelegen haben soll. Das musst du mir dann aber schon mal erklären. Also, bis morgen.
Ach, übrigens, mach dir keine Sorgen wegen dieser Perlen. Alles halb so schlimm.«
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JA!!!!
Für Beates Spionageexpeditionen, Trishs Wochenendterror, Leons Geburtstagsgeschenke und die rätselhaften Software Slaves habe ich jetzt wirklich keine Zeit.
Schließlich spielen sich hier direkt vor mir auf dem Podium Dramen ab — mitten in der schleswig-holsteinischen Pampa, genauer im Schützenfestzelt auf einem Feld vor den Toren von Düdelsdorf, dem Hauptsitz des größten deutschen Callcenter-Betreibers mit dem unglaublich originellen Namen »Gimme-a-Call«.
Das hübsch rot-weiß-blau gestreifte Zelt ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf Bierbänken sitzen Tausende Telearbeiter bei Apfelschorle und Buletten, Kaffee und Butterkuchen und johlen bei jedem weiteren Auftritt auf dem Podium noch ein bisschen lauter.
Die Selbsthilfegruppe, an die ich über unseren Callcenter-Chef geraten bin, hat heute mit Dutzenden ähnlicher Initiativen aus ganz Deutschland zum ersten bundesweiten Treffen der Teleworker-Community eingeladen. Der Gimme-a-Call-Firmensitz bot sich an, da ein Drittel der Mitarbeiter gar nicht mehr in der riesigen Großraumbürohalle in Düdelsdorf arbeitet, sondern von zu Hause aus. Doch ganz glücklich scheinen sie alle nicht damit zu sein.
Und da Düdelsdorf nicht weit von Hamburg ist, habe ich mich auf eine kleine Solidaritätsreise nach Norden begeben und Tobias, Trish & Co. einfach mal ihrem Schicksal überlassen. Sehr befreiend.
Aber auf dem Podium folgt nun ein Schreckensbericht nach dem anderen. Eine Telearbeiterin berichtet, wie sie am PC im heimischen Schlafzimmer Billigflüge für FunnyFly vermittelt.
»Die Anrufer haben ja wirklich keine Ahnung«, sagt die Frau Anfang vierzig in biederstem Lodenkostüm. Eigentlich fehlt nur noch ein Kopftuch, dann wäre das Klischee der Bauersfrau perfekt. »So etwasvon unorganisiert sind die. Meistens haben sie nicht die geringste Ahnung, zu welchem Zeitpunkt sie überhaupt fliegen wollen. Was das immer dauert. Immerhin hat uns FunnyFly letztes Jahr Headsets zur Verfügung gestellt, sodass ich während dieser endlosen Wartezeiten wenigstens die Melkmaschine anschließen ...« Ich wusste es.
»... oder die Hühner füttern kann. Aber das ist eine enorme Doppelbelastung, jawohl!«
»Natürlich!«, dröhnt es ihr aus dem Publikum entgegen.
»Wir brauchen das Geld. Unser Hof allein, das reicht einfach nicht mehr.«
»Aber was meint ihr, Genossinnen und Genossen ...« Völker, hört die Signale.
»... was meint ihr, wie der Teufel los ist, wenn die Kunden endlich ihren Flugtermin gefunden haben und ich nicht in null Komma nix vom Stall wieder am PC bin. Schrecklich. Und kaum bin ich da, dann finden die Kunden natürlich ihre Kreditkarte nicht, und das Warten geht von vorn los. Dann gehe ich in die Wäschekammer bügeln oder in die Küche kochen, das ist nicht so weit weg wie der Stall.«
»Bravo, gute Idee«, brüllt jemand im Publikum.
»Und geregelt ist bei FunnyFly gar nichts. Kein bezahlter Urlaub, nicht einmal eine richtige Versicherung. Wir sind das Telefonproletariat, jawohl!«
»Jawohl!!!«, grölen die Massen.
Jetzt drängt eine jüngere Frau auf das Podium. Sie arbeitet für das Versandhaus QUICKSHOP, wie irgendwie schon an ihrer Garderobe im Stil von »Jung und trendy, Katalogseiten 354 bis 367« zu erkennen ist.
»Die Anrufer wollen immer, dass ich mal kurz im Lager nachsehe, ob die Socken, die sie bestellt haben, auch wirklich das richtige Grün haben. Die kapieren einfach nicht, dass mein Rechner bei uns im Keller steht und das einzige Lager, das es da gibt, voll mit unseren Nahrungsvorräten ist. Aber sagen darf ich das natürlich auch nicht. Sonst schmeißt mich QUICKSHOP raus. Manchmal bin ich völlig fertigmit den Nerven. Wir brauchen eine bessere Bezahlung, das ist sicher. Schließlich sind wir die Stütze der deutschen Wirtschaft.«
»Und was ist mit uns?«, meldet sich nun eine Frau im Publikum zu Wort, die einen Jogginganzug trägt, der tatsächlich noch schlabbriger ist als mein Halloween-Kürbis-Outfit. »Wir haben schon zu Hause am Telefon gearbeitet, als es das Wort Callcenter noch gar nicht gab«, ruft sie, sichtlich erzürnt. »Telefonsex gehört zum ältesten Gewerbe
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