Mum@work: Roman
überhaupt, aber die Prostituiertenverbände nehmen uns nicht auf. Wir wollen auch eine Vertretung!«
Raunen in der Menge. Die Frage scheint umstritten zu sein.
Auf der Bühne geht jetzt eine Frau sehr zögerlich zum Mikrofon. Sie ist den Tränen nahe, ihre Stimme ist kaum zu hören.
»Lauter«, schreit jemand aus dem Publikum, obwohl die Arme überhaupt noch nichts gesagt hat.
Mit zittriger Stimme haucht sie dann ins Mikrofon: »Ich habe meine Arbeit verloren. Letzte Woche. Ich war im Verkauf tätig, Marketing mit Vertragsabschluss. Ich habe mein Soll nicht erfüllt. Drei Versicherungen - Hausrat mit Privathaftpflicht - hätte ich noch mehr verkaufen müssen. Meine Firma, also, meine Exfirma, hatte mir wie immer die Nummern von Interessenten gegeben. Bis Sonntag musste ich die Leute anrufen. Aber die Zeit hatte ich, neben meinem Job als Kassiererin, eben einfach nur am Samstagnachmittag. Und da hatte mein Sohn sein Fußballturnier. Kreisjugend. Ich habe also mit dem Handy gearbeitet. Als die Zuschauer beim ersten Tor anfingen zu grölen, hat der Kunde einfach aufgelegt. Die Verbindung vorher war auch schon schlecht. Die anderen beiden habe ich erst gar nicht erreicht.«
Die Frau fängt nun an zu schluchzen und wird von der QUICKSHOP-Kellerverkäuferin von der Bühne geleitet. Im Zelt macht sich eine beklemmende Stille breit.
»Das sind ja schreckliche Zustände«, raune ich meiner Nachbarin zu.
»Ja, genau. Aber deshalb sind wir ja auch hier. Hilke Vogt, mein Name«, sagt sie und streckt mir ihre Hand entgegen. »Ich bin übrigens im Organisationskomitee des Treffens. Und wer sind Sie?«
»Katharina Stein. Ich bin nur so interessehalber hier, weil ich auch von zu Hause aus arbeite. Allerdings nicht als Telefonistin.«
»Ach, das ist ja interessant. Wir haben einige Kollegen, die in Heimarbeit Software programmieren und so weiter. Und was machen Sie?«
»Nun, ich manage die PR für einen Medienkonzern.«
»Wow. Und das funktioniert?«
»Tja, das kommt darauf an, wie man es betrachtet. Mal mehr, mal weniger. Es gibt natürlich jede Menge Probleme - deswegen bin ich ja hier. Aber eigentlich auch viele Vorteile. Die Telearbeit müsste einfach gesellschaftlich mehr anerkannt und besser tariflich, arbeitsrechtlich und so weiter geregelt werden. Im Prinzip brauchte man eine Gewerkschaft für Telearbeiter, um mehr Druck auf die Unternehmen, die Politik ausüben zu können.«
Was rede ich da?
»Sie treffen es auf den Punkt. Das sollten Sie unbedingt dem Plenum mitteilen. Kommen Sie.«
Hilke Vogt springt jetzt auf, zerrt mich mit eisernem Griff am Oberarm von meinem Stuhl hoch und dirigiert mich in Richtung Podium. Eine Minute später finde ich mich vor einem Mikrofon und einem johlenden Publikum wieder.
Was soll ich hier?
Hilke Vogt ergreift das Wort: »Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich euch Katharina Stein vorstellen - eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Telearbeiterinnen und Telearbeiter. Bitte sehr, Katharina Stein.«
Wer hin ich? Katharina, die Hobbygewerkschafterin?
Ich blicke ins Publikum und in ein grelles Blitzlicht. Scheint der Lokalreporter zu sein, zumindest seiner völlig überproportionalen Survivalweste nach zu urteilen, aus der verschiedene Objektive, Notizblöcke und so weiter ragen. Die überregionale Presse oder gar das Fernsehen scheinen von der Revolution in Düdelsdorf noch nichts gehört zu haben. Ein Glück, denn ob mein Auftritt hier in den Reihen von BetterMedia so gut ankäme?
»Nun, zunächst einmal sollten wir die Vorteile der Telearbeit beiallen Schwierigkeiten nicht aus dem Blick verlieren. Das sind nun einmal in den meisten Fällen eine größere Arbeitszeitflexibilität...« 24 Stunden - ist das flexibel?
»... eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf...« Meistens.
»... kein Zeitverlust auf dem Arbeitsweg ...« ... und auf dem Weg zum Kühlschrank mit den Milchschnitten. »Aber Telearbeiter müssen ein deutlich höheres Maß an Selbstdisziplin aufbringen!«
»Ja, richtig«, ruft jemand im Publikum.
»Und wir, die Telearbeiter, drohen zu vereinsamen und uns selbst auszubeuten.« »Jawohl!«
»Deshalb muss endlich für eine gerechte Bezahlung aller Telearbeiter gekämpft werden ...« »Auf in den Kampf, ja!« »... für mehr Anerkennung!« Applaus.
»... gegen Enteignung und Bevormundung! Für die Einführung immer noch fehlender Steuervorteile und eine soziale Absicherung bei selbstständigen Telearbeitern, für ...«
Das Zelt tobt, Hilke
Weitere Kostenlose Bücher