Mummenschanz
Eleganz eines Tänzers.
»Ich weiß nicht, was du hinter der Maske bist«, sagte Oma. »Aber Geist ist nur ein anderes Wort für Seele. Also los, Walter Plinge.«
Die maskierte Gestalt rührte sich nicht.
»Ich meine… also los, Geist. Die Show muß weitergehen.«
Der Maskierte nickte und sauste fort.
Oma klatschte in die Hände. Es klang wie der Auftakt des Verderbens.
»Na schön!« teilte sie dem Universum mit. »Fangen wir damit an, Gutes zu tun.«
Alle starrten sie an.
Dies war ein ganz spezieller Moment in der Zeit, ein Punkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, an dem sich eine Sekunde dehnen konnte…
Und wieder spürte Agnes die Verlegenheitsröte. Der Rache eines Vulkangottes gleich brodelte sie in ihr empor, und wenn das Glühen ihr Gesicht erreichte… dann war alles vorbei für sie.
Du wirst dich entschuldigen, höhnte Perdita in ihr.
»Sei still!« rief Agnes.
Sie trat vor, bevor das Echo aus den Ecken des Zuschauersaals zurückkehren konnte. Sie hob die Hand und zerrte an der roten Maske.
Der Chor reagierte. Immerhin war dies eine Oper. Die Show hatte aufgehört, aber die Oper ging weiter…
»Salzella!«
Er packte Agnes und preßte ihr eine Hand auf den Mund. Die andere zuckte zum Gürtel und zog das Schwert.
Es war keineswegs ein Requisit, sondern eine echte Waffe. Die Klinge zischte durch die Luft, als sich Salzella dem Chor zuwandte.
»Oje, oje, oje, oje«, sagte er. »Wie opernhaft von mir. Ich schätze, jetzt muß ich dieses arme Mädchen als Geisel nehmen. Das verlangen die Umstände von mir, nicht wahr?«
Er sah sich triumphierend um. Das Publikum beobachtete die Ereignisse fasziniert und stumm.
»Will denn niemand sagen: Damit kommst du nicht durch!« fügte Salzella hinzu.
»Damit kommst du nicht durch«, ließ sich André aus den Kulissen vernehmen.
»Ich nehme an, ihr habt alles umstellt, nicht wahr?« fragte Salzella munter.
»Ja, wir haben alles umstellt.«
Christine schrie und fiel in Ohnmacht.
Salzellas Lächeln wuchs in die Breite.
»Ah, da ist jemand richtig opernhaft!« sagte er. »Nun, ich komme damit durch, weil ich nicht in opernhaften Bahnen denke. Diese junge Dame und ich gehen nun in den Keller, und dort gebe ich sie vielleicht unverletzt frei. Ich bezweifle sehr, daß auch der Keller umstellt ist. Nicht einmal ich kenne sein ganzes Ausmaß, und ich darf euch versichern, daß ich mich dort unten häufig umgesehen habe…«
Er zögerte. Agnes versuchte, sich zu befreien, aber der Arm schloß sich noch fester um ihren Hals.
»Inzwischen sollte eigentlich jemand gefragt haben: Aber warum, Salzella?« sagte er. »Meine Güte, muß ich denn den ganzen Dialog allein sprechen?«
Eimer merkte, daß sein Mund offenstand. »Ich wollte es gerade fragen!« behauptete er.
»Ah, gut. In dem Fall lautet meine Antwort: Weil ich es wollte. Weil es mir gefällt, eine Menge Geld zu haben. Und außerdem…« Er holte tief Luft. »Ich hasse die Oper. Ich möchte mich deshalb nicht unnötig aufregen, aber für mich steht fest, daß die Oper abscheulich ist. Ich habe genug davon. Laßt mich diese gute Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, daß ich die Oper für eine gräßliche, völlig unrealistische, sich selbst verherrlichende Kunstform halte, die gute Musik auf schreckliche Weise vergeudet und…«
Etwas surrte an einer Seite der Bühne. Die langen Röcke einiger Kostüme gerieten in Bewegung. Staub wirbelte auf.
André sah sich um. Neben ihm war die Windmaschine aktiv geworden, ohne daß jemand die Kurbel drehte.
Salzella drehte den Kopf, um festzustellen, wem oder was die allgemeine Aufmerksamkeit galt.
Der Geist war gesprungen und leichtfüßig auf der Bühne gelandet. Sein Umhang wogte… opernhaft.
Er deutete eine Verbeugung an und zog das Schwert.
»Aber du bist doch to…«, begann Salzella. »Oh, ja! Der Geist eines Geistes! Völlig unglaubwürdig und absolut unsinnig, was den Traditionen der Oper entspricht! Ich hätte es mir denken können!«
Er stieß Agnes beiseite und nickte fröhlich.
»So wirkt sich die Oper aus«, fuhr Salzella fort. »Sie verfault einem das Gehirn, und davon hat er ohnehin nur wenig. Sie treibt einen in den Wahnsinn. Habt ihr gehört? In den Wahnsinn!! Ähem. Wer von der Oper beeinflußt wird, verhält sich irrational. Glaubt ihr etwa, ich hätte euch im Lauf der Jahre nicht beobachtet? Dies ist eine Art Treibhaus für Idiotie und Demenz!! Habt ihr gehört? Für Idiotie und Demenz!!«
Geist und Musikdirektor belauerten
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