Mummenschanz
Neuankömmling nickte dem Alten mit dem Sack zu.
»Was starrst du so, Herr Pfundler?« fragte er.
Der alte Mann senkte den Blick. »Ich weiß, was ich gesehen habe, Herr Salzella«, erwiderte er. »Ich sehe viele Dinge.«
»So viele, wie du durch den Boden einer Flasche erkennen kannst, du alter Taugenichts. Was ist mit Thomas passiert?«
»Es war der Geist!« stieß Thomas hervor, erleichtert darüber, wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. »Er hat sich auf mich gestürzt, Herr Salzella! Ich glaube, mein Bein ist gebrochen«, ergänzte er im Tonfall eines Mannes, der plötzlich eine gute Gelegenheit zum Krankfeiern sieht.
Agnes erwartete von Salzella Bemerkungen wie: »Geister? Es gibt keine Geister.« Er hatte genau das richtige Gesicht für solche Worte.
Statt dessen sagte er: »Wieder aktiv geworden, der Bursche, wie? Wohin ist er verschwunden?«
»Hab’s nicht gesehen, Herr Salzella. Er ist einfach fortgesaust!«
»Ich schlage vor, einige von euch helfen Thomas zur Kantine«, sagte Salzella. »Und jemand holt einen Arzt…«
»Sein Bein ist nicht gebrochen«, meinte Agnes. »Allerdings hat das Seil starke Hautabschürfungen verursacht, außerdem ist ihm Farbe ins Ohr gelaufen.«
»Was weißt du schon davon?« erwiderte Thomas. Ein mit Farbe gefülltes Ohr bot nicht die gleichen Möglichkeiten wie ein gebrochenes Bein.
»Ich… äh… kenne mich ein wenig mit solchen Dingen aus«, erklärte Agnes und fügte rasch hinzu: »Die Hautabschürfung ist schlimm, außerdem könnte er noch einen Schock bekommen.«
»Brandy ist ein gutes Heilmittel, nicht wahr?« ließ sich Thomas vernehmen. »Vielleicht könntest du mir etwas einflößen.«
»Große dunkle Löcher«, sagte Pfundler. »Große.«
»Ja, danke, Herr Pfundler. Hilf Ron bei Herrn Kripps, in Ordnung? Komm her, Perdita. Und du ebenfalls, Christine.«
Die beiden jungen Frauen blieben vor dem Musikdirektor stehen.
»Habt ihr irgend etwas beobachtet ?« fragte Salzella.
»Ich habe ein großes Geschöpf mit breiten Flügeln und großen Löchern dort, wo sich die Augen befinden sollten, gesehen!!« antwortete Christine.
»Ich habe nur etwas Weißes unter der Decke gesehen«, sagte Agnes. »Tut mir leid.«
Sie errötete, als sie begriff, wie uninteressant das klang. Perdita hätte vermutlich eine geheimnisvolle maskierte Gestalt erblickt…
Salzella lächelte. »Soll das heißen, du siehst nur Dinge, die tatsächlich existieren? Offenbar bist du noch nicht lange bei der Oper, Teuerste. Aber es freut mich, daß es hier auch eine vernünftige Person gibt…«
»O nein !« rief jemand.
»Der Geist!!« heulte Christine sofort.
»Äh… es ist der junge Mann hinter der Orgel«, sagte Agnes. »Entschuldigung.«
»Nicht nur vernünftig, sondern auch aufmerksam«, stellte Salzella fest. »Was dich betrifft, Christine: Dir fällt es bestimmt nicht schwer, dich bei uns einzugewöhnen. Was ist los, André?«
Ein blonder Mann spähte hinter den Orgelpfeifen hervor.
»Jemand hat die Federn und Ventile zerstört«, klagte der junge Mann. »Alles ist ruiniert. Ich kann der Orgel bestimmt keinen Ton mehr entlocken. Und sie ist von unschätzbarem Wert.«
Salzella seufzte. »Na schön. Ich gebe Herrn Eimer Bescheid. Herzlichen Dank.«
»So was sollte man mit anderen Leuten eigentlich nicht machen«, sagte Nanny Ogg leise und wie zu sich selbst, als die Kutsche schneller wurde.
Sie blickte sich mit einem offenen Lächeln um und musterte die zerzaust wirkenden übrigen Reisenden.
»Guten Morgen«, sagte sie und kramte in ihrem großen Beutel. »Ich bin Gytha Ogg, ich habe fünfzehn Kinder, das ist meine Freundin Esme Wetterwachs, wir fahren nach Ankh-Morpork, möchte vielleicht jemand ein Eibrötchen? Hab genug mitgebracht. Der Kater hat auf den Dingern geschlafen, aber es ist alles in Ordnung damit, seht nur, sie lassen sich wieder in die ursprüngliche Form biegen. Nein? Wie ihr wollt. Was haben wir denn sonst noch…? Ah, hat jemand einen Öffner für eine Flasche Bier?«
Ein in der Ecke sitzender Mann gab zu erkennen, daß er vielleicht über ein entsprechendes Werkzeug verfügte.
»Gut«, sagte Nanny Ogg. »Hat jemand etwas, aus dem man eine Flasche Bier trinken kann?«
Ein anderer Mann nickte hoffnungsvoll.
»Ausgezeichnet«, kommentierte Nanny Ogg. »Und hat jemand eine Flasche Bier?«
Oma Wetterwachs stand diesmal nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit; alle entsetzten Blicke blieben auf Nanny gerichtet. Sie nutzte die gute
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