Mummenschanz
Gelegenheit, um ihre Mitreisenden zu mustern.
Die Expreßkutsche fuhr nicht nur durch die Spitzhornberge, sondern auch durch die vielen kleinen Länder jenseits davon. Wenn die Fahrkarte von Lancre nach Ankh-Morpork vierzig Dollar kostete, dann hatten diese Leute sicher noch viel mehr bezahlt. Wer gab den durchschnittlichen Lohn von zwei Monaten aus, nur um schnell und unbequem zu reisen?
Der dürre Mann, der die ganze Zeit über seine Reisetasche umklammert hielt, war vermutlich ein Spion. Der Dicke, der das Glas angeboten hatte, schien Dinge zu verkaufen. Er hatte die ungesunde Gesichtsfarbe eines Mannes, der zu viele Flaschen geleert und zu viele Mahlzeiten versäumt hatte.
Dick und Dünn drängten sich zusammen, denn der Rest des Platzes wurde von einem Mann beansprucht, dessen Ausmaße fast an die eines Zauberers heranreichten. Er schien nicht aufgewacht zu sein, als die Kutsche anhielt. Nach wie vor ruhte ein Taschentuch auf seinem Gesicht, und er schnarchte mit der Regelmäßigkeit eines Geysirs. Seine einzige Sorge war anscheinend die Tendenz kleiner Objekte, in seinen Schwerkraftbereich zu geraten und gewissermaßen als Meteoriten auf ihn herabzustürzen. Vielleicht kamen auch noch Gezeiten hinzu.
Nanny Ogg wühlte weiter in ihrem Beutel und war so sehr damit beschäftigt, daß zwischen Augen und Mund eine direkte Verbindung ohne Umweg über das Gehirn bestand.
Für gewöhnlich reiste sie mit dem Besen. Fernreisen auf dem Boden waren ein absolutes Novum für sie, und deshalb hatte sie sorgfältige Vorbereitungen getroffen.
»… mal sehen… Rätselbuch für lange Reisen… Kissen… Fußpuder… Mückenfalle… Sprachführer… Tüte-falls-einem-übel-wird… ach du meine Güte…!«
Dem Publikum war es während dieser Litanei entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelungen, noch etwas weiter von Nanny fortzurücken. Es beobachtete das Geschehen mit entsetztem Interesse.
»Was ist?« fragte Oma.
»Wie oft hält die Kutsche?«
»Wieso fragst du?«
»Ich hätte es erledigen sollen, bevor wir losfuhren. Entschuldigung. Es kommt sicher von dem dauernden Rütteln. Weiß jemand, ob es in diesem Ding einen Abort gibt?« fragte sie munter.
»Äh«, sagte der mutmaßliche Spion, »normalerweise warten wir bis zum nächsten Halt, oder…« Er unterbrach sich. Er hatte darauf hinweisen wollen, daß es auch das Fenster gab, doch diese Option stand vor allem Männern zur Verfügung. Der dürre Mann befürchtete plötzlich, daß diese gräßliche alte Frau eine derartige Möglichkeit tatsächlich in Betracht ziehen könnte.
»Es dauert nicht mehr lange, bis wir Ohulan erreichen«, sagte Oma, die versuchte, ein Nickerchen zu machen. »Hab ein wenig Geduld.«
»Die Kutsche hält nicht in Ohulan«, sagte der Spion.
Oma Wetterwachs hob den Kopf.
»Sie hat dort nie gehalten – bisher«, fügte der dürre Mann hinzu.
Herr Eimer saß in seinem Büro und versuchte, die Buchführung des Opernhauses zu verstehen.
Die Bücher ergaben überhaupt keinen Sinn. Er hielt sich für durchaus imstande, eine Bilanz als solche zu erkennen und auch zu deuten, aber diese Unterlagen waren für ordentliche Buchführung das, was Sand für ein Uhrwerk darstellte.
Emil Eimer hatte immer großen Gefallen an der Oper gefunden. Er verstand sie nicht, aber das Meer verstand er genausowenig und fand es trotzdem wunderbar. In dem Kauf des Opernhauses sah er so etwas wie eine… dynamische Altersversorgung. Das Angebot war zu gut gewesen, um es abzulehnen. Im Käse-und-Milchprodukte-Geschäft gab es häufig Probleme, deshalb hatte sich Herr Eimer nach dem ruhigeren Klima der Kunstwelt gesehnt.
Die früheren Eigentümer hatten einige gute Opern inszeniert. Schade nur, daß sie offenbar nicht bereit gewesen waren, bei der Buchführung ein ähnliches Maß an Sorgfalt walten zu lassen. Der Kasse schien immer dann Geld entnommen worden zu sein, wenn es gebraucht wurde. Die Aufzeichnungen der entsprechenden finanziellen Transaktionen bestanden aus Zetteln mit Hinweisen wie: »Habe 30 Dollar genommen, um Q zu bezahlen. Bis Montag. R.« Wer war R? Und wer war Q? Für welchen Zweck war das Geld verwendet worden? Eins stand fest: In der Käsewelt kam man mit so etwas nicht durch.
Er hob den Kopf, als sich die Tür öffnete.
»Ah, Salzella«, sagte er. »Schön, daß du gekommen bist. Du weißt nicht zufällig, wer Q ist, oder?«
»Nein, Herr Eimer.«
»Oder R?«
»Ich fürchte, da muß ich passen.« Salzella zog sich einen Stuhl
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