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Mummenschanz

Mummenschanz

Titel: Mummenschanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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einer fortgeschrittenen Bauphase hatte sich der Architekt plötzlich an die Notwendigkeit einer gewissen Dekoration erinnert und sie hastig hinzugefügt. Das Ergebnis war ein Durcheinander von Friesen, Säulen und zahlreichen verschnörkelten Teilen. Wasserspeier waren in den höher gelegenen Regionen angebracht. Als direkte Folge davon wirkte die Vorderfront wie eine gewaltige Wand aus gequältem Stein.
    Hinten zeigte sich die übliche, schmucklose Masse aus Fenstern, Rohrleitungen und anderen Installationen. Die wichtigste Regel von öffentlicher Architektur lautet: Normalerweise gibt es sie nur vorn.
    Oma Wetterwachs blieb unter einem Fenster stehen. »Jemand singt«, sagte sie. »Hör nur.«
    »La-la-la-la-la-LAH«, trillerte eine Stimme. »Do-Re-Mi-Fah-So-La-Ti-Do…«
    »Das ist Oper, ganz klar«, stellte Oma fest. »Klingt fremdländisch.«
    Nanny besaß ein erstaunliches Sprachtalent: Innerhalb einer Stunde konnte sie in einer neuen Sprache auf verständliche Weise inkompetent sein. Was sie dann sagte, grenzte an Kauderwelsch, aber es war echtes fremdländisches Kauderwelsch. Was Oma Wetterwachs betraf… Abgesehen von ihren anderen Eigenschaften hatte sie nicht nur ein gutes musikalisches, sondern auch ein ausgezeichnetes linguistisches Gehör.
    »Äh… ja… könnte sein«, sagte Nanny. »Hier ist immer was los. Unser Nev meint, daß es am Abend manchmal mehrere Vorstellungen gibt.«
    »Woher will er das wissen?« erkundigte sich Oma Wetterwachs.
    »Nun, es gab eine Menge Blei auf dem Dach. Dauerte eine Weile, den ganzen Kram zu entfernen. Besonderen Gefallen fand unser Nev an den lauten Sängern. Da konnte er leise mitsingen, und niemand hörte das Klopfen.«
    Die Hexen schlenderten weiter.
    »Hast du bemerkt, daß die junge Agnes vorhin fast mit uns zusammengestoßen wäre?« fragte Oma.
    »Ja«, bestätigte Nanny. »Es fiel mir sehr schwer, mich nicht umzudrehen.«
    »Sie hat sich kaum darüber gefreut, uns zu sehen, oder? Schien sich sogar zu fürchten.«
    »Das ist sehr verdächtig, wenn du mich fragst«, sagte Nanny. »Ich meine, wenn man zwei freundliche Gesichter aus der Heimat sieht… Eigentlich hätte sie sofort zu uns kommen sollen.«
    »Schließlich sind wir alte Freunde. Ich meine, alte Freunde ihrer Großmutter und Mutter, und das ist praktisch das gleiche.«
    »Erinnerst du dich an die Augen in der Teetasse?« fragte Nanny. »Vielleicht steht sie unter dem Einfluß einer seltsamen okkulten Kraft. Wir müssen vorsichtig sein. Die Leute können sehr schwierig werden, wenn sich bei ihnen eine seltsame okkulte Kraft auswirkt. Denk nur an Herrn Skrupel aus Schnitte.«
    »Da war keine seltsame okkulte Kraft im Spiel, nur ein verdorbener Magen.«
    »Nun, für eine Weile schienen seltsame okkulte Kräfte am Werk zu sein. Besonders bei geschlossenem Fenster.«
    Ihr Weg führte sie zum Bühneneingang.
    Oma betrachtete einige Plakate.
    » La Triviata «, las sie laut. »Der Ring der Nibelungingung… ?«
    »Nun, es gibt zwei grundlegende Arten von Opern«, sagte Nanny. Als Hexe kannte sie sich mit allen Dingen aus, vor allem mit jenen, mit denen sie sich nicht auskannte. »Da wäre die sogenannte schwere Oper, in der die Leute meistens fremdländisch singen, was übersetzt soviel bedeutet wie ›Oh, oh, oh, ich sterbe, oh, ich sterbe, oh, oh, oh, ja mit mir geht’s zu Ende‹. Dann gibt’s noch die leichte Oper, in der die Leute ebenfalls fremdländisch singen, doch der Text lautet: ›Bier! Bier! Bier! Bier! Ich möchte gern viel Bier trinken!‹ Aber manchmal trinken sie auch Sekt. Tja, darum geht’s im großen und ganzen bei der Oper.«
    »Ach? Entweder wird gestorben oder Bier getrunken?«
    »Im Grunde ja«, sagte Nanny und behauptete tatsächlich, damit sei das ganze Spektrum der menschlichen Erfahrungen beschrieben.
    »Daraus besteht die Oper?«
    »Nun… vielleicht gibt es noch einige andere Aspekte. Aber letztendlich läuft alles auf Trinken oder Stechen hinaus.«
    Oma spürte eine Präsenz.
    Sie drehte sich um.
    Jemand trat durch den Bühneneingang. Er trug ein Plakat und einen Eimer mit Kleister und Bürste.
    Es war eine seltsame Gestalt. Sie erinnerte an eine adrette Vogelscheuche, deren Kleidung ein wenig zu klein war. Allerdings durfte es für sie kaum passende Kleidungsstücke geben. Die Handgelenke und die Knöchelgegend der Beine schienen dehnbar und völlig unabhängig voneinander zu sein.
    Der Mann begegnete den beiden Hexen an der Mauer und blieb höflich stehen. Sie konnten

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