Mummenschanz
Agnes an.
»Was ist?«
»In einer Minute geht der Vorhang hoch, Teuerste«, sagte er und strich Senf auf die Klinge.
»Ist etwas mit Dr. Unterschaft geschehen?«
»Keine Ahnung, Teuerste. Du hast nicht zufällig etwas Salz?«
»‘tschuldigung. ‘tschuldigung. Oh, tut mir leid, ‘tschuldigung. War das dein Fuß? ‘tschuldigung…«
Die Hexen stapften zu ihren Plätzen und hinterließen dabei einen Schweif aus verärgerten und schmerzerfüllten Opernbesuchern.
Oma Wetterwachs setzte sich und verschaffte sich mit einigen entschlossenen Ellenbogenstößen genug Platz.
»Was passiert jetzt?« fragte sie nach einigen Sekunden. Sie litt ebenso schnell an Langeweile wie ein vierjähriges Kind.
Die spärlichen Opernkenntnisse Nanny Oggs reichten nicht aus, diese Frage zu beantworten. Deshalb wandte sie sich an die neben ihr sitzende Frau.
»Entschuldigung, könnte ich mir dein Programmheft ausleihen? Danke, ‘tschuldigung, würdest du mir deine Brille borgen? Sehr nett von dir.«
Nanny las eine Zeitlang.
»Dies ist die Ouvertüre«, sagte sie dann. »Das ist eine Art kostenlose Kostprobe für das, was danach auf der Bühne geschieht. Dazu gehört auch eine Zusammenfassung der Geschichte. La Triviata. «
Ihre Lippen bewegten sich, als sie las. Gelegentlich bildeten sich Falten auf ihrer Stirn.
»Nun, eigentlich ist alles ganz einfach«, behauptete sie. »Viele Leute haben sich ineinander verliebt, und viele Leute verkleiden sich, was zu allgemeiner Verwirrung führt, und es tritt ein frecher Diener auf, und niemand weiß, wer die anderen sind, und zwei alte Herzöge schnappen über, und außerdem gibt es viel Chorgesang und Zigeuner. Die übliche Oper eben. Vermutlich stellt sich irgendwann heraus, daß jemand der seit langer Zeit verlorene Sohn oder die seit langer Zeit verlorene Tochter bzw. Frau von jemand ist.«
»Pscht!« ertönte es hinter ihnen.
»Schade, daß wir nichts zu essen mitgebracht haben«, brummte Oma.
»Ich glaube, ich habe einige Pefferminzbonbons im Schlüpferbein.«
»Pscht!«
»Ich möchte bitte meine Brille zurück.«
»Hier hast du sie. Das Ding ist nicht besonders gut.«
Jemand klopfte Nanny Ogg auf die Schulter. »Deine Pelzstola frißt meine Pralinen, Gnädigste!«
Und jemand klopfte Oma Wetterwachs auf die Schulter. »Bitte nimm den Hut ab!«
Nanny Ogg erstickte fast an ihrem Pfefferminzbonbon.
Oma Wetterwachs wandte sich langsam dem hinter ihr sitzenden Mann zu und sah in ein rundes, gerötetes Gesicht. »Weißt du, was für Frauen einen spitzen Hut tragen?«
»Ich weiß nur, daß mir eine solche Frau den Blick auf die Bühne versperrt.«
Oma musterte den Mann. Und dann, zu Nannys großer Überraschung, nahm sie den Hut ab.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte sie. »Mir ist nun klar, daß meine Manieren alles andere als gut waren. Es soll nicht wieder vorkommen.«
Sie wandte sich der Bühne zu.
Nanny Ogg schnappte nach Luft. »Fühlst du dich wohl, Esme?«
»Hab mich nie besser gefühlt.«
Oma Wetterwachs ließ ihren Blick durch den Zuschauersaal gleiten und achtete nicht auf die Geräusche um sie herum.
»Ich versichere dir, Gnädigste: Dein Pelz frißt meine Pralinen. Er hat gerade mit der zweiten Lage begonnen.«
»Na so was. Zeig ihm am besten das Bild auf dem Deckel. Er hat’s nur auf die Nougatleckereien abgesehen. Nachher wischst du vom Rest einfach den Speichel und die Haare ab.«
»Könntest du vielleicht still sein?«
»Ich könnte schon. Aber dieser Mann mit den Pralinen sorgt dauernd für Unruhe…«
Ein großer Raum, stellte Oma Wetterwachs fest. Ein großer Raum ohne Fenster…
In ihren Daumen prickelte es.
Sie sah zum Kronleuchter, dessen Seil in einem Deckenalkoven verschwand.
Ihr Blick glitt über die Logen. In allen saßen Zuschauer, doch in einer waren die Vorhänge fast ganz zugezogen, als wollte darin jemand beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.
Omas Aufmerksamkeit galt auch dem Parkett, wo zum größten Teil Menschen saßen. Hier und dort sah sie die große Gestalt eines Trolls – obgleich Troll-Opern normalerweise Jahre dauerten. Einige Zwergenhelme glänzten in der Menge, obwohl sich Zwerge für nichts interessierten, bei dem keine Zwerge auftraten. Jede Menge Federn wogten, und Schmuck schimmerte. Die Jahreszeit erlaubte es, die Schultern unbedeckt zu lassen. Offenbar hatten alle große Mühe auf ihr Erscheinungsbild verwendet. Die meisten Leute waren nicht gekommen, um zu sehen, sondern um gesehen zu
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