Mummenschanz
verstopfte.
»Das ist Greebo, nicht wahr?«
»Er ist ein glücklicher Kater weil er viel Milch getrunken hat!«
»Walter… wieso stehst du im Dunkeln mitten auf der Bühne, obwohl alle anderen nach Hause gegangen sind?«
»Was machst du hier Fräulein?«
Agnes hatte noch nie zuvor gehört, daß Walter etwas fragte. Er ist hier eine Art Hausmeister, dachte sie. Er kann überallhin gehen.
»Ich… habe mich verirrt«, erwiderte sie und schämte sich wegen der Lüge. »Ich… ich ziehe mich jetzt in mein Zimmer zurück. Äh… hast du jemanden singen gehört?«
»Die ganze Zeit über Fräulein!«
»Ich meine, jetzt gerade.«
»Jetzt gerade sprechen wir miteinander Fräulein!«
»Oh…«
»Gute Nacht Fräulein!«
Agnes ging durch die warme Düsternis in Richtung Tür und mußte bei jedem Schritt der Versuchung widerstehen, sich umzusehen. Sie nahm den Kessel, füllte ihn erneut mit Wasser und eilte die Treppe hoch.
Auf der Bühne ließ Walter Greebo vorsichtig zu Boden, zog sich das Barett vom Kopf und holte etwas Weißes daraus hervor.
»Was sollen wir jetzt machen, Herr Kater? Oh, ich weiß. Wir hören uns die Ouvertüre von Die Flederlaus von J. Q. Bubbla an, dirigiert von Wotscha Doinow.«
Greebo bedachte ihn mit dem nachsichtigen Blick einer Katze, die bereit ist, (fast) alles zu ertragen, wenn sie dafür etwas Leckeres bekommt.
Walter ließ sich neben ihm nieder und hörte der aus den Wänden sickernden Musik zu.
Als Agnes das Zimmer betrat, schlief Christine bereits und schnarchte wie jemand im Kräuterhimmel. Der Becher lag neben dem Bett.
Ich habe nichts Schlimmes getan, dachte Agnes einmal mehr. Christine mußte einmal richtig ausschlafen. Sie hatte ihr praktisch einen guten Dienst erwiesen.
Ihre Aufmerksamkeit glitt zu den Blumen, unter denen sich ziemlich viele Rosen und Orchideen befanden. Karten hingen an den meisten Sträußen. Offenbar gab es eine ganze Reihe von aristokratischen Männern, die guten Gesang zu schätzen wußten. Besser gesagt, guten Gesang von jemandem wie Christine.
Agnes ordnete die Blumen in der Lancre-Art: Sie hielt die Vase in der einen Hand, den Strauß in der anderen und versuchte dann, beides miteinander zu verbinden.
Der letzte Strauß war der kleinste und in rotes Papier gehüllt. Eine Karte fehlte. Eigentlich fehlten auch die Blumen.
Jemand hatte sechs dunkel angelaufene und spindeldürre Rosenstengel zusammengebunden und sie mit Parfüm besprüht. Der Duft war moschusartig und keineswegs unangenehm, aber die Sache blieb trotzdem ein schlechter Scherz. Agnes warf den Strauß in den Papierkorb, blies die Kerze aus und wartete.
Ohne zu wissen, auf wen. Oder auf was.
Nach ein oder zwei Minuten bemerkte sie einen vagen Glanz, der aus dem Korb drang: ein schwaches Fluoreszieren wie von einem kranken Glühwürmchen.
Sie schob sich vorsichtig näher.
An den Stengeln klebten Rosenknospen, transparent wie Glas und sichtbar nur aufgrund des Glimmens an der Kante jedes Blütenblatts. Es flackerte wie Irrlichter.
Ganz vorsichtig zog Agnes den »Strauß« aus dem Papierkorb und tastete in der Dunkelheit nach dem Becher. Als Vase taugte er nicht viel, doch er mußte genügen. Anschließend setzte sie sich und beobachtete die geisterhaften Blumen, bis…
… jemand hüstelte. Ruckartig hob sie den Kopf und begriff, daß sie eingeschlafen war.
»Verehrteste?«
»Ja?!«
Die Stimme war melodisch. Etwas in ihr ließ vermuten, daß sie jederzeit mit einem Lied beginnen konnte.
»Hör gut zu. Morgen singst du die Rolle der Laura in Il Truccatore. Wir haben viel zu tun. Eine Nacht genügt kaum. Die Arie im ersten Akt wird den größten Teil unserer Aufmerksamkeit beanspruchen.«
Einige Sekunden ertönten Violinen.
»Dein Auftritt heute abend war… gut. Aber in bestimmten Bereichen sind noch Verbesserungen möglich. Paß auf.«
»Hast du die Rosen geschickt?!«
»Gefallen sie dir? Sie blühen nur in der Dunkelheit.«
»Wer bist du?! Habe ich dich vorhin singen gehört?!«
Es war kurz still.
»Ja.«
Dann:
»Befassen wir uns nun mit dem Part der Laura in Il Truccatore, dem ›Meister der Verkleidung‹, auch bekannt als ›der Mann mit den tausend Gesichtern‹…«
Als die Hexen am nächsten Morgen Ziegenbergers Büro erreichten, saß dort ein ziemlich großer Troll auf der Treppe. Eine Keule ruhte auf seinen Knien, und er hob warnend eine schaufelgroße Hand.
»Niemand eintreten darf«, grollte er. »Herr Ziegenberger an einer Besprechung
Weitere Kostenlose Bücher