Mummenschanz
nichts«, log Agnes. »Äh… seit wann arbeitest du schon hier?«
»Erst seit einigen Monaten. Ich… habe den Kindern des Serifen von Klatsch Musikunterricht erteilt.«
»Was hältst du von dem… äh… Geist?«
André hob und senkte die Schultern. »Ich halte ihn für einen Irren.«
»Ähm… weißt du, ob er singt? Ich meine, kann er gut singen?«
»Ich habe gehört, daß er dem Inspizienten die eine oder andere Kritik schickt. Einige Mädchen behaupten, sie hätten nachts jemanden singen gehört. Aber sie reden dauernd dummes Zeug.«
»Ähm… gibt es hier Geheimgänge?«
André neigte den Kopf zur Seite und musterte Agnes. »Mit wem hast du gesprochen?«
»Wie bitte?«
»Die Mädchen behaupten, es gäbe welche. Sie behaupten auch, den Geist immer wieder mal zu sehen, manchmal sogar an mehreren Orten gleichzeitig.«
»Warum sollten sie ihn öfter sehen als andere Leute?«
»Vielleicht deshalb, weil es ihm gefällt, junge Frauen anzuschauen. Sie proben an den unmöglichsten Orten. Und die meiste Zeit über sind sie halb verrückt vor Hunger.«
»Bist du denn gar nicht an dem Geist interessiert ? Es sind Morde geschehen!«
»Nun, man munkelt, daß vielleicht Dr. Unterschaft dahintersteckte.«
»Er ist ebenfalls ermordet worden!«
»Vielleicht hat er sich selbst erhängt. In letzter Zeit war er häufig deprimiert. Er ist immer seltsam gewesen. Sehr nervös und so. Nun, ohne ihn dürfte es recht schwierig werden. Hier, ich habe dir alte Programmhefte mitgebracht. Vielleicht sind dir die Anmerkungen darin eine Hilfe; immerhin bist du noch nicht lange bei der Oper.«
Agnes starrte auf die Hefte, ohne sie zu sehen.
Leute starben, und man sah in ihrem Tod nur den Beginn von Problemen.
Die Show mußte weitergehen. Das sagten alle, ständig. Oft wurden die Worte von einem Lächeln begleitet, aber sie waren trotzdem ernst gemeint. Niemand erklärte, warum die Show unbedingt weitergehen mußte. Als die Chorsänger am vergangenen Tag über das Geld gestritten hatten… Alle wußten, daß sie sich letztendlich nicht weigern würden, erneut aufzutreten und zu singen. Alles schien ein Spiel zu sein.
Die Show ging weiter. Agnes hatte die Geschichten gehört. Shows gingen weiter, während ein Feuer in der Stadt wütete, während ein Drache auf dem Dach hockte, während es draußen in den Straßen Tumulte gab. Das Bühnenbild brach zusammen? Die Show ging weiter. Der erste Tenor starb? Man wendete sich an das Publikum, in der Hoffnung, daß sich ein Musikstudent unter den Zuschauern befand, jemand, der die Rolle kannte. Man gab ihm eine große Chance, während die Leiche seines Vorgängers hinter den Kulissen kalt wurde. Warum? Um Himmels willen, es war doch nur eine Aufführung, nichts Wichtiges! Aber… die Show ging weiter. Alle Beteiligten hielten das für vollkommen selbstverständlich, deshalb dachten sie überhaupt nicht mehr darüber nach. In dieser Beziehung schienen die Köpfe der meisten Leute nur grauen Dunst zu enthalten.
Andererseits kam jemand in der Nacht, um Agnes – beziehungsweise Christine – richtigen Gesang zu lehren. Und wenn alle gegangen waren, trat eine geheimnisvolle Gestalt auf die Bühne, um dort zu singen. Agnes versuchte sich vorzustellen, daß diese Stimme jemandem gehörte, der Menschen umbrachte. Es wollte ihr nicht gelingen. Vielleicht hatte sich der Dunst inzwischen auf sie ausgebreitet; vielleicht sträubte sich etwas in ihr gegen solche Vorstellungen. Wer konnte Musik lieben und gleichzeitig ein Mörder sein?
Agnes hatte in einem Programmheft geblättert, und nun fiel ihr ein Name auf.
Sie nahm sich die anderen Hefte vor und fand den Namen auch darin. Er wurde nicht bei jeder Aufführung genannt, und die betreffende Person spielte auch keine Hauptrollen. Für gewöhnlich stellte sie einen Wirt oder Diener dar.
»Walter Plinge?« las sie. »Walter? Aber… er singt doch nicht, oder?«
Agnes hob ein Heft.
»Was? Oh, nein.« André lachte. »Meine Güte… es ist ein… geeigneter Name, denke ich. Manchmal muß jemand eine unwichtige Rolle singen und möchte vermeiden, später damit in Verbindung gebracht zu werden. Deshalb wird Walter Plinge als Darsteller genannt. In vielen Theatern verwendet man derartige Namen, zum Beispiel A. N. Dere. So was ist für alle praktisch.«
»Aber… Walter Plinge ?«
»Nun, ich vermute, es begann als eine Art Scherz. Ich meine, kannst du dir Walter Plinge auf der Bühne vorstellen?« André lächelte. »Mit seinem Barett?«
»Was
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