Mummenschanz
hält er davon?«
»Ich glaube, es ist ihm gleich. Es läßt sich nur schwer feststellen, was er von irgend etwas hält.«
In der Küche klirrte es laut, und aus dem Klirren wurde jenes Krachen, das vor dem inneren Auge jedes Zuhörers bestimmte Bilder entstehen läßt. Sie zeigten Agnes, wie ein hoher Geschirrstapel kippte und wie jemand versuchte, ihn festzuhalten, um dann entsetzt festzustellen, daß er nur zwei Hände besaß. Das allgemeine Poltern erreichte einen scheppernden Höhepunkt und endete dann in einem spöttischen Geräusch, verursacht von einem Teller, der wie durch ein Wunder heil geblieben war und sich auf dem Boden drehte.
Die Stimme einer zornigen Frau ertönte.
»Walter Plinge!«
»Es tut mir leid Frau Kluppe!«
»Das verdammte Ding hält sich am Rand der Pfanne fest! Laß endlich los, du Mistvieh…«
Geschirrsplitter wurden zusammengefegt, und dann vernahm Agnes ein gummiartiges Geräusch, das sich anhörte wie Spoing.
»Wo ist das Biest jetzt ?«
»Weiß es nicht Frau Kluppe!«
»Und was macht die Katze hier?«
André wandte sich Agnes zu und lächelte traurig. »Ich finde es ein bißchen gemein, ihn so zu behandeln«, sagte er. »Ich meine, der arme Kerl ist nicht ganz richtig im Oberstübchen.«
»Ich glaube, das gilt für viele Leute, denen ich hier begegnet bin«, erwiderte Agnes.
André lächelte wieder. »Ja, ich weiß.«
»Alle verhalten sich so, als käme es nur auf die Musik an. Die Handlung scheint überhaupt keine Rolle zu spielen. In den meisten Geschichten geht es um Leute, die ihre Diener oder Gattinnen nicht erkennen, weil sie eine winzige Maske tragen. Dicke Frauen geben sich als dürre Mädchen aus. Die schauspielerischen Fähigkeiten aller Beteiligten lassen sehr zu wünschen übrig. Eigentlich ist es kein Wunder, daß niemand staunt, wenn ich für Christine singe… Im Vergleich zu den anderen Aspekten der Oper ist das völlig normal. Es gehört praktisch dazu. Vor der Tür des Opernhauses sollte man ein Schild anbringen, auf dem steht: Vor Betreten des Gebäudes die Vernunft abgeben. Ohne die Musik wäre alles vollkommen absurd und lächerlich!«
Agnes begriff plötzlich, daß André sie mit einem Operngesicht ansah.
»Du verstehst nicht, was ich meine, oder? Auch für dich kommt es in erster Linie auf die Show an, stimmt’s? Alles ist Show.«
»Die Oper erhebt keinen Anspruch darauf, der Wirklichkeit zu ähneln«, entgegnete André. »Sie ist nicht wie das Theater. Niemand sagt: Nehmt an, daß sich hier ein großes Schlachtfeld erstreckt und daß der Bursche mit der Pappkrone ein König ist. Bei uns dient die Handlung eigentlich nur dazu, die Pause bis zum nächsten Lied zu überbrücken.«
Er beugte sich vor und griff nach Agnes’ Hand. »Für dich ist das alles sehr verwirrend, nicht wahr?«
Kein männliches Wesen hatte Agnes jemals berührt, es sei denn, um sie fortzustoßen und ihr ein Bonbon zu stehlen.
Sie zog die Hand zurück.
»Ich… äh… gehe jetzt besser und übe«, sagte sie und fühlte wieder Schamesröte in sich emporwallen.
»Du hattest ein gutes Gespür für die Rolle der Jod«, sagte André.
»Ein… äh… privater Lehrer hat mich in alles eingeweiht.«
»Offenbar weiß er gut über die Oper Bescheid.«
»Ja… ja, ich glaube schon.«
»Esme?«
»Ja, Gytha?«
»Ich möchte nicht klagen…«
»Ja?«
»… aber warum trete ich nicht als vornehme Opernbesucherin auf?«
»Weil du so gewöhnlich wie Dreck bist, Gytha.«
»Oh. Gut.« Nanny dachte über Omas Bemerkung nach und fand keine Unrichtigkeiten, die das Urteil der Geschworenen beeinflussen konnten. »Ich schätze, da hast du recht.«
»Glaub nur nicht, daß mir das alles gefällt .«
»Soll ich mich um deine Füße kümmern?« fragte die Hand- und Fußpflegerin. Sie blickte auf Omas Stiefel hinab und fragte sich, ob vielleicht der Einsatz eines Hammers erforderlich war.
»Ich muß zugeben, die Frisur ist nicht schlecht«, sagte Nanny.
»Gnä’ Frau hat wundervolles Haar«, meinte der Friseur. »Was ist dein Geheimnis?«
»Man muß darauf dachten, daß keine Molche im Wasser sind«, erwiderte Oma Wetterwachs. Sie betrachtete ihr Abbild im Spiegel über dem Waschbecken, drehte den Kopf… und sah aus den Augenwinkeln noch einmal hin. »Hm«, murmelte sie und schürzte die Lippen.
Unterdessen war es der Hand- und Fußpflegerin gelungen, Oma die Stiefel auszuziehen und die Strümpfe abzustreifen. Zu ihrem großen Erstaunen kamen nicht etwa mit zahllosen
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