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Mummenschanz

Mummenschanz

Titel: Mummenschanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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in seinem Innern wußte er, daß besondere Situationen besondere musikalische Untermalung erforderten.
    Dieser Orgel mangelte es an einigen Komponenten, die der Bibliothekar inzwischen für wesentlich hielt: Es gab weder ein Donner-Pedal noch eine fast vierzig Meter lange Erdbeben-Pfeife. Außerdem fehlte eine Tiergeräusch-Klaviatur. Aber bestimmt konnte er mit den Baß-Registerzügen etwas Interessantes anstellen.
    Er streckte die Arme aus und ließ die Fingerknöchel knacken, was bei ihm eine ganze Weile dauerte.
    Und dann begann er zu spielen.
     
    Der Geist tanzte am Rand des Balkons entlang und stieß dabei Hüte und Operngläser beiseite. Die Zuschauer beobachteten das Geschehen erstaunt und klatschten dann. Sie wußten nicht genau, wie dieses Ereignis in die Handlung der Oper paßte, aber bei Opern konnte man nie wissen.
    Er erreichte die Mitte des Balkons, drehte sich um, rannte…
    … stieß sich vom Rand ab, flog hoch über dem Publikum, flog noch weiter…
    … und landete auf dem Kronleuchter, der klirrte und schwankte.
    Die Zuschauer standen auf und applaudierten noch lauter, als der Geist durch die klimpernden Schichten des Leuchters kletterte und sich dem Seil näherte.
    Die zweite Gestalt eilte ebenfalls über den Balkon und folgte der ersten. Sie war kräftiger gebaut, hatte nur ein Auge, breite Schultern und eine schmale Taille. Der Mann wirkte auf faszinierende Weise unheilvoll, wie ein Pirat, der wirklich wußte, was die Totenkopfflagge bedeutete. Er nahm keinen Anlauf, stieß sich einfach nur ab, als er die dem Kronleuchter am nächsten liegende Stelle erreichte.
    Man konnte auf den ersten Blick erkennen, daß er es nicht schaffen würde.
    Und dann fragten sich die Leute, wie er es geschafft hatte.
    Wer das Geschehen mit Hilfe eines Opernglases beobachtete, würde später schwören, daß der Mann einen Arm ausstreckte, der den Kronleuchter nur streifte – was es ihm trotzdem ermöglichte, seinen ganzen Leib zu drehen und hochzuziehen.
    Zwei oder drei Beobachter schworen noch feierlicher, daß die Fingernägel des Mannes um etwa zehn Zentimeter wuchsen, als er den Kronleuchter berührte.
    Der gewaltige Glasberg schwang an seinem Seil, und als er sich ganz zur einen Seite geneigt hatte, streckte sich Greebo wie ein Trapezkünstler. Dem Publikum entfuhr ein anerkennendes »Oooh«.
    Greebo wandte sich in die andere Richtung. Der Leuchter zögerte kurz und schwang dann zurück.
    Während er über dem Parkett bimmelte, nutzte der hängende Mann das Bewegungsmoment, um sich nach oben schleudern zu lassen. Er vollführte einen Salto rückwärts und landete mitten in den Kristallen. Kerzen und Prismen fielen auf diverse Sitze tief unten.
    Die Zuschauer klatschten und jubelten, als die Gestalt das Seil erklomm und dem Geist folgte.
     
    Henry Gesetzlich versuchte, seinen Arm zu bewegen, aber ein heruntergefallener Kristall hatte den Ärmel an die Armlehne geheftet.
    Er sah sich mit einem Dilemma konfrontiert, das ihn verlegen machte. Einerseits glaubte er, daß so etwas nicht passieren sollte, andererseits war er nicht sicher.
    Um ihn herum flüsterten sich die Leute Fragen zu.
    »Gehört das zur Handlung?«
    »Ich denke schon.«
    »Oh, ja. Es gehört zweifellos dazu«, sagte jemand, der einige Plätze entfernt saß und die Aura des Kenners zur Schau stellte. »Ja. Die berühmte Verfolgungsszene. Natürlich. Ja. Sie wurde auch in Quirm gezeigt.«
    »Oh… ja. Ja. Jetzt erinnere ich mich. Habe davon gehört… «
    »Eine verdammt gute Szene«, kommentierte Frau Gesetzlich.
    »Mutter!«
    »Wurde auch Zeit, daß was Aufregendes passiert. Du hättest mir rechtzeitig Bescheid geben sollen, Henry. Dann hätte ich meine Brille aufgesetzt.«
     
    Nanny Ogg eilte die Treppe zu den Soffitten hoch.
    »Etwas ist schiefgegangen!« stieß sie atemlos hervor und nahm mit jedem Schritt zwei Stufen auf einmal. »Esme glaubt immer, daß sie die Leute nur anstarren muß, und schon ist die Sache geritzt. Und wer muß nachher alles in Ordnung bringen?«
    Die alte Holztür am oberen Ende der Treppe gab Nanny Oggs Tritt nach, der durch ihr Bewegungsmoment noch größeren Nachdruck bekam. Dahinter erstreckte sich tiefe Düsternis. Mehrere Personen liefen darin herum. Beine erschienen im Licht von Laternen. Verschiedene Stimmen riefen etwas.
    Jemand sprintete Nanny entgegen.
    Sie duckte sich, beide Daumen an dem Korken der ordentlich geschüttelten Sektflasche, die sie sich unter den Arm geklemmt hatte.
    »Das ist eine

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