Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
gewesen bist.
Lili hielt kurz an. Sollte ich nicht lieber umkehren?, fragte sie sich, doch dann trugen ihre Füße sie wie von selbst voran, und sie rannte los.
Als sie die Brücke erreicht hatte, die über einen Seitenarm des Conon führte, blieb sie stehen. Ihr Atem pfiff, und sie keuchte laut, während sie sich am hölzernen Brückengeländer festhielt. Ja, es war unklug, schoss es ihr durch den Kopf, aber es musste sein. Nun konnte sie nur hoffen, dass Niall das dumme Gerede seines Bruders richtig einzuschätzen wusste, denn dass die beiden darauf lauerten, die Hochzeit im letzten Augenblick zu verhindern, daran zweifelte Lili nicht im Geringsten. Und wenn Niall ihr Vorwürfe machen sollte, dann musste sie es eben auf einen Streit ankommen lassen. Es konnte doch nicht angehen, dass ihr zukünftiger Mann sie mundtot und willenlos machte. In ihren Augen war es herzlos, eine alte Frau wie Großmutter Mhairie mit Nichtachtung zu strafen, nur weil sie nicht in den Hetz-Chor gegen die Makenzies einstimmte.
Erschöpft hockte sich Lili an das Ufer des Baches und warf gedankenverloren Steine ins Wasser. Ob dies die Stelle ist, an der Caitlin ins Wasser gegangen ist?, fragte sie sich plötzlich und sprang hastig auf. Ja, sie konnte sich mittlerweile lebhaft vorstellen, wie die Familie darauf reagiert hatte, als sie erfahren musste, dass Caitlin eine Makenzie war. Und auch Niall traute sie durchaus zu, dass er seine Liebe schließlich dem Hass geopfert hatte.
Sie haben meine Cousine auf dem Gewissen, durchfuhr es Lili eiskalt, und sie ballte die Fäuste, doch dann merkte sie, dass sie im Begriff stand, die Munroys mit derselben Heftigkeit zu verabscheuen, wie diese die Makenzies hassten. Lili atmete ein paarmal tief durch. Ich darf mich nicht in diese Gefühle von Schuld und Rache verstricken, dachte sie energisch, sprang auf und eilte weiter.
Als sie Dustens Haus in der Ferne auftauchen sah, beschleunigte sie ihren Schritt noch einmal. Nichts auf dieser Welt konnte sie an diesem Tag davon abbringen, Großmutter Mhairie einen Besuch abzustatten. Sie mochte die alte Dame von Herzen gern. Nun schämte sie sich fast ein wenig, dass sie Nialls absurdes Verbot bislang befolgt hatte, und war fest entschlossen, derart unsinnige Anordnungen in Zukunft nicht mehr zu beachten.
44
Scatwell, April 1914
Wie immer in den letzten Wochen, wenn Lili um Dustens Haus herumgeschlichen war, überkam sie auch dieses Mal eine fast feierliche Ruhe. Es war ein bescheidenes Gebäude aus weißem Stein, das so einladend aussah, dass man kaum daran vorbeigehen mochte. Ein kleines weißes Mäuerchen umzäunte den Garten. Als sie die Pforte öffnete, quietschte sie ein wenig.
Der Mut verließ sie allerdings in dem Augenblick, als sie die Hand hob, um an die Tür zu pochen. Ihre Faust hielt kurz vorher inne, und sie schreckte zurück. Eilig trat sie den Rückzug an.
Sie war fast wieder bei der Pforte, als sie eine bekannte Stimme hinter sich vernahm. Sie war tief und klar, rau und warm und klang herzlich.
»Lili, schön, dass du vorbeischaust! Wir haben uns seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden, und spätestens in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie nicht nur gekommen war, um Großmutter Mhairie einen Besuch abzustatten.
Langsam wandte sie sich um und hoffte inständig, dass Dusten nicht wahrnahm, wie ihre Wangen glühten. Er schien sich jedenfalls ehrlich zu freuen, denn er strahlte über das ganze Gesicht.
»Guten Tag, Dusten, ich bin zufällig vorbeigekommen und hatte schon befürchtet, es sei keiner zu Hause. Ich wollte nach Großmutter Mhairie sehen.« Sie wunderte sich selbst, dass ihre Stimme weder bebte noch belegt klang.
»Komm doch erst einmal herein!«, bat Dusten sie.
Lili folgte ihm ins Haus. Sie traute sich nicht, ihn anzusehen. Die Angst, er könne sie durchschauen, lähmte sie förmlich.
Im Innern des Hauses war es erstaunlich hell, und Lili stellte fest, dass es ungewöhnlich viele Fenster besaß. Dusten führte sie durch eine geräumige Diele zum Wohnzimmer, das sehr geschmackvoll eingerichtet war.
»Setz dich doch! Möchtest du etwas trinken? Einen Whisky vielleicht?«
Sie nickte. Ihr war völlig gleichgültig, was er ihr zu trinken brachte. Es war allein seine Gegenwart, die ihr wohltat. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, aber es war ihr, als werde sie von einer weichen Wolke umhüllt, die sie alle ihre Sorgen vergessen ließ. Dazu kam die magische
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