Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
surrte wie in einem Bienenhaus. Wie auch immer sie in Bezug auf Isobel handelte, es schien verkehrt zu sein. In diesem Augenblick sehnte sie sich nach den ruhigen Bahnen, in denen ihr Leben noch vor vier Wochen verlaufen war. Und nach ihrer Mutter, die sie um Rat hätte fragen können. Ob Davinia den attraktiven Mann aus den Highlands wohl gemocht hätte?
Schließlich ließ sich Lili auf die Chaiselongue fallen. Sofort überfiel sie eine bleierne Müdigkeit. Kein Wunder, ging ihr durch den Kopf, nach allem, was heute schon geschehen ist! Ich habe mich verlobt, ich habe erfahren, dass mein Vater einen Menschen umgebracht hat und im Gefängnis gestorben ist, ich habe mir meine Lieblingsschülerin zur Feindin gemacht, ich habe die Bell’s Wynd hinter mir gelassen, und nicht nur das, sondern mein ganzes bisheriges Leben …
12
Edinburgh, Abend des 23. Dezember 1913
Lili erwachte von leisen Schritten und riss erschrocken die Augen auf.
»Isch wollte Ihnen nisch wecken. Schlafen Sie ruisch weiter. Isch sage Mademoiselle Macdonald Bescheid, dass Sie müssen sisch ausruhen …«
»Nein, nein, schon gut, ich bin wach«, erklärte Lili mit fester Stimme und setzte sich kerzengerade hin. »Was hat Isobel gesagt?«
»Dass sie schön in ihre Bett bleibt und kein Dummeiten macht und …« Die Französin seufzte. »… und dass sie an die Schule bleiben möschte. Aber isch abe geraten ihr, ihren Vater zu georschen.«
»Und hat sie mich erwähnt?«
»Nein, doch – sie at gesagt, dass sie über Ihnen nischt spreschen will.«
»Gut, dann lasse ich sie in Ruhe, bis sie vernünftig geworden ist.«
»Lassen Sie das Kind Zeit. Aber nun kommen Sie, Mademoiselle Macdonald asst Unpünktlischkeit.«
Lili fuhr sich flüchtig durch das Haar, strich den Rock glatt und entnahm ihrem Koffer die Kette und den Ring ihrer Mutter. Natürlich hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, die beiden Schmuckstücke als Erinnerung zu behalten, aber erstens war ihr der Ring viel zu groß, und außerdem eignete sich der Schmuck eher für eine gesetzte Dame. Und er entsprach genau dem Geschmack der Direktorin.
Miss Macdonald begrüßte die beiden Kolleginnen herzlich und bat sie einzutreten. So streng sie manchmal in der Schule wirkte, so ungezwungen bewegte sie sich in ihren Privaträumen. Überraschenderweise wehte den Gästen der Geruch von gebratenem Truthahn entgegen.
»Mon dieu, Sie aben doch wohl nisch etwa ihre eiligen Prinzipien vergessen und eine Festessen gezaubert?«
Die Direktorin lächelte verschmitzt. »Ich war Ihr enttäuschtes Gesicht leid, Mademoiselle Larange. Aber trösten Sie sich, dafür essen wir morgen und übermorgen Haggis.«
»Aben Sie Erbarmen, das überlebe isch nisch!«
»Der Truthahn ist so groß, der reicht noch bis Hogmanay.Aber nun kommen Sie zu Tisch! Ich kann nur hoffen, dass auch Ihnen Ihre Henkersmahlzeit schmeckt, liebe Miss Campbell.«
Lili zuckte unmerklich zusammen. Natürlich kannte sie den Humor der Direktorin und ihre Vorliebe, die Dinge beim Namen zu nennen, nur fiel ihr bei der bloßen Erwähnung einer Henkersmahlzeit sofort ihr Vater ein, der ein Dasein hinter Gittern gefristet hatte. Und sie quälte sich erneut mit der Frage, ob sie Niall das doch lieber vor der Hochzeit ehrlich offenbaren sollte.
Ihre Grübeleien waren jedoch in jenem Augenblick verflogen, als Miss Macdonald den Braten auf den Tisch stellte. Eine solche Köstlichkeit hatte Lili bislang nur bei den Denoons genossen. Das werde ich in Zukunft öfter auf den Tisch bringen, dachte sie und fragte sich im gleichen Augenblick, ob es ihr je wohl gelingen werde, die Rolle der Tochter einer Köchin abzulegen. Denn sie würde in den Highlands bestimmt nicht selbst kochen müssen. Dafür gab es sicherlich Personal. Eine merkwürdige Vorstellung!
Als könne sie Gedanken lesen, erhob jetzt die Gastgeberin ihr Glas mit den Worten: »Ein Prosit auf unsere junge Lady Munroy. Ich habe zur Feier des Tages extra einen Champagner aus dem Keller geholt. Der ist nur für besondere Anlässe gedacht.«
»Exactement! Den letzten Flasch habe isch mit Ihnen zu Hogmanay im Jahre achtsehnundertneunundneunsisch um die Mitternacht getrunken«, erinnerte sich Mademoiselle Larange kichernd.
Sie prosteten sich mit den geschliffenen Champagnerkelchen zu.
»Und Sie sind mir wirklich nicht mehr böse, dass ich fortgehe?«, wollte Lili zaghaft wissen.
»Aber nein, mein Kind, in Ihrem Fall nicht. Und Sie dürfen mir glauben, dass ich mir in der
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