Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
guten Geistern verlassen?«
Dann herrschte Stille, und Lili konnte sich bildlich vorstellen, was sich dort draußen vor ihrer Tür gerade abspielte. Wahrscheinlich versuchte Niall, seinen Verwandten durch Zeichen verständlich zu machen, dass sich seine Verlobte in dem Zimmer befand, vor dessen Tür sie sich gerade lautstark über Nialls Wahl ereiferten.
Dass dem so war, bewies das laut gestöhnte: »Aber doch nicht in ihrem Zimmer …«, das nun entsetzt aus dem Mund seiner Mutter durch die Tür bis zu Lili drang.
Lili wich einen Schritt zurück und versuchte, zum Sofa zu gelangen, bevor sich die Tür öffnen und man sie beim Lauschen ertappen würde. Schritte entfernten sich hastig. Sie erwartete jede Sekunde, dass jemand ins Zimmer stürzte, doch alles blieb still. Mit zitternden Knien ließ sie sich auf das Sofa fallen. Wo bin ich da nur hineingeraten?, fragte sie sich traurig. Plötzlich überkam sie die unbändige Sehnsucht, zusammen mit Miss Macdonald und Mademoiselle Larange die Reste des Truthahns zu verspeisen und danach vor dem lodernden Kamin mit ihnen Drambuie zu trinken, bis ihr ganz leicht zumute sein würde. Denn mit jedem Augenblick, den sie in diesem Haus weilte, wurde ihr schwerer und immer schwerer ums Herz.
15
Inverness, Abend des 24. Dezember 1913
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Lili wieder Schritte vernahm, die sich ihrem Zimmer näherten. Ohne anzuklopfen, trat Niall ein. Er war bleich und musterte sie durchdringend. »Lili, hast du gehört, was vorhin draußen gesprochen wurde?«, fragte er ohne Umschweife.
Lili kämpfte mit sich. Sollte sie sich dumm stellen oder zugeben, was sie wider Willen hatte mitanhören müssen?
»Lili, bitte, nun rede doch! Hast du etwas von dem Gespräch mitbekommen, das vor deiner Tür geführt wurde?«
Lili nickte seufzend.
»Was haben sie gesagt?«
»Vermutlich war es dein Bruder, der den Vorschlag machte, die nicht standesgemäße Tochter einer Köchin nach Hause zu schicken, und deine Mutter – ich nehme an, sie war es – hatte gehofft, dass Lady Ainsley das Fest mit euch verbringen würde und nicht ich …« Lili stockte, und ohne nachzudenken, rutschte ihr jene Frage heraus, die ihr auf der Seele brannte. »Niall, was ist mit deiner Frau geschehen? Warum hat sie sich das Leben genommen?«
»Du weißt davon?«
Lili nickte zerknirscht. »Es war in der Schule bekannt.«
»Sie war gemütskrank, und deshalb ist sie ins Wasser gegangen.«
Lili wollte ihm widersprechen, ihm auf den Kopf zusagen, dass er ihr etwas Wesentliches verheimliche, doch dann hielt sie lieber den Mund. Waren es nicht allein die Gespenster in ihrem Kopf, die hinter dieser ganzen Geschichte mit Caitlins Tod finstere Geheimnise vermuteten? Vielleicht war Nialls Frau wirklich nur ertrunken und hatte sich nicht vorher die Pulsadern aufgeschnitten. Und Miss Macdonald hatte vielleicht recht gehabt mit ihrer Behauptung, Lady Ainsleys Phantasie sei mit ihr durchgegangen.
»Und, wie hast du gemerkt, dass sie gemütskrank war?«, fragte sie vorsichtig nach.
Niall rieb sich gequält mit beiden Händen die Schläfen, als wolle er schreckliche Kopfschmerzen vertreiben.
»Das … das verlief schleichend. Sie fühlte sich verfolgt, wurde immer apathischer, nun wie das eben so ist, wenn jemand nicht mehr ganz richtig im Kopf ist. Aber bitte, tu mir einen Gefallen: Lass die Vergangenheit ruhen, ja? Ich belästige dich doch auch nicht mit Fragen nach deiner Herkunft.«
Lili zuckte zusammen. Wenn er wüsste, dachte sie beschämt und nahm sich fest vor, nicht weiter nachzubohren, doch da war ihr bereits die nächste Frage herausgerutscht: »Warum nennst du sie nie beim Namen, sondern immer nur Isobels Mutter?« Kaum dass sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, bereute sie die Frage bereits. »Verzeih, das geht mich nichts an. Es ist deine Sache.«
Täuschte sie sich, oder blitzte unbändiger Zorn aus Nialls Augen? »Frag mich nie wieder nach ihr, hörst du?«, zischte er. »Nie wieder!«
Lili war dermaßen erschrocken über seinen schroffen Ton, dass ihr Tränen in die Augen traten.
Sofort wich jeglicher Anflug von Wut aus Nialls Gesicht, und er legte ihr versöhnlich eine Hand auf die Schulter. »Bitte, verzeih meine grobe Art, aber ich möchte die ganze traurige Geschichte vergessen. Schon Isobel zuliebe. Wir wollen eine neue Familie gründen, deren Leben nicht von den Schatten der Vergangenheit belastet wird. Und auch Isobels Mutter hätte nicht gewollt, dass sie wie ein Spuk
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