Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
gut, ich bleibe auf meinem Zimmer, bis du mich holst.«
»Hier ist es schon.« Niall öffnete eine Tür und ließ sie vorgehen. Lili rang nach Luft. Dies war kein kleines Gästezimmer, sondern ein riesiger Raum mit hoher Decke und edlen Möbeln. Er wirkte hell und freundlich, und Lili war sicher, dass er von einer Frau eingerichtet und bewohnt worden war. Als Lilis Blick an einem Ölgemälde hängen blieb, das eine schöne Frau mit dunkelblond gelocktem Haar darstellte, ahnte sie, wer hier einmal gewohnt hatte.
Niall erwähnte mit keinem Wort, dass er seine Braut im Zimmer seiner verstorbenen Frau unterbrachte. Er schien dies für das Normalste der Welt zu halten. »Es sind ja nur die paar Tage. Gleich nach Hogmanay fahren wir zum Schloss. Ach ja, bevor ich es vergesse, Isobel hat in der kurzen Zeit noch keinen Platz in der Mädchenschule in Inverness bekommen. Du wirst sie so lange unterrichten.«
Lili war verblüfft. Sie hatte nichts dagegen, ihrer künftigen Stieftochter Unterricht zu erteilen, im Gegenteil. Doch die Art und Weise, wie Niall ihr dies mitteilte, befremdete sie. Sie war gespannt, welche Überraschungen er noch für sie bereithielt.
»Eigentlich bist du nicht zum Arbeiten hier, und ich kann auch eine andere Lehrerin beschaffen«, bemerkte er beinahe entschuldigend.
»Nein, Niall, selbstverständlich übernehme ich diese Aufgabe. Ich freue mich doch, wenn ich mich nützlich machen kann. Ich hatte schon befürchtet, ich müsse den ganzen Tag faul herumsitzen und mich bedienen lassen.«
Zu Lilis großem Entzücken brach Niall wieder in jenes herzliche Lachen aus, das sie zu ihrem Bedauern viel zu selten bei ihm erlebte. In jenen Augenblicken wirkte er herrlich unbeschwert.
»O nein, an Langeweile wirst du auch später nicht leiden. Du wirst Schritt um Schritt Mutters Rolle im Haus übernehmen und große Verantwortung tragen. Bedenke, du bist dann immerhin Lady Lili Munroy.«
»Hoffentlich fühlt sich deine Mutter von mir nicht beiseitegedrängt.«
»Nein, sie weiß, wo ihr Platz ist. Schließlich hat sie das alles schon einmal erlebt, als Isobels Mutter den Haushalt führte, als …« Niall unterbrach sich verlegen.
Lili aber blickte ihn fragend an. Warum redete er nicht weiter über seine Frau? Und wann würde er ihr endlich von deren grausamem Selbstmord erzählen?
Doch Niall wandte sich energisch um. »Ich hoffe, du kommst allein zurecht. Spätestens zum Abendessen bin ich zurück, aber ruh dich noch ein wenig aus. Du siehst müde aus, Liebling.«
Niall zögerte, doch dann kam er noch einmal zurück und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Bis nachher«, murmelte er und ließ sie allein in einem Zimmer, von dessen einer Wand sie die wachsamen Augen eines Ölgemäldes anstarrten.
Lili rieselten kalte Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, mit ihrer verstorbenen Vorgängerin das Zimmer zu teilen.
14
Inverness, 24. Dezember 1913
Lili ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Der Stil der Möbel war feinstens aufeinander abgestimmt. Der Damensekretär, der Kleiderschrank, der zierliche Sofatisch, der Rahmen des Bettes und der Bücherschrank waren aus Eibe gefertigt, die Sessel mit demselben Stoff bezogen wie das Chesterfield-Sofa. Wenn es nicht das Zimmer von Isobels Mutter wäre, ich würde mich hier durchaus wohlfühlen, denn es besitzt eine anheimelnde Atmosphäre, schoss es Lili durch den Kopf. Doch ein einziger Blick auf das Gemälde der eleganten blonden Dame in dem himmelblauen Kleid vertrieb ihr den Anflug von Wohlgefühl. Allem Anschein nach hatte in diesen Räumen eine verzweifelte Frau gelebt, die auf grausame Weise aus dem Leben geschieden war und deren Ableben Niall ihr gegenüber kaum für erwähnenswert zu halten schien.
Bei der Gewissheit, dass sich hinter dem Selbstmord von Nialls Frau ein schreckliches Geheimnis verbarg, spürte Lili ein Unwohlsein in sich aufsteigen. Um sich von derlei Gedanken abzulenken, erhob sie sich entschlossen und schlenderte zum Bücherregal. Wahllos nahm sie einen Band in die Hand. Es war ein dicker Wälzer über die Zucht von Scottish Blackface, einer, wie Lili als Lehrerin wusste, uralten Schafrasse. Sie stutzte. Ein solches Buch hätte sie in Nialls Bücherschrank erwartet, aber nicht bei seiner Frau. Vorsichtig schlug sie es auf. Ihr Blick blieb an der Widmung hängen. Meiner treuen Mitstreiterin und geliebten Frau Caitlin.
Lili las den Satz mehrfach und konnte sich nicht helfen: Das klang liebevoll und aufrecht. Er muss seine
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