Munzinger Pascha
verletzt und zu fürchten ist, der Streit könnte zum zweiten Mal ausbrechen, lehne ich das Anerbieten ab.
Ende November ist die nordwestlichste Ecke Abessiniens erreicht. Die Diener wollen nicht weiter vordringen und kehren um. Kinzelbach und Munzinger steigen allein hinunter in die menschenleeren Tiefen der sudanesischen Steppe. Sie reiten durch mannshohes Schilfgras. Riesige Büffelherden ziehen am Horizont vorüber, Elefanten, Nashörner und Giraffen kreuzen ihren Weg. Dann und wann brüllt ein Löwe, nach Sonnenuntergang bellt die Hyäne; das bereitet Werner schon längst keine schlaflosen Nächte mehr. Ganz unbemerkt aber hat sich ihm ein Feind genähert, der schrecklicher ist als alle anderen Gefahren. Noch fühlt Werner sich wohl und in Sicherheit – die Revolver sind geladen, Säbel und Nilpeitsche griffbereit, die Maultiere haben sich gut von der Plackerei im Gebirge erholt. Natürlich sind da die Stechmücken, etwas zahlreicher als in Keren vielleicht, aber daran gewöhnt man sich. Werner schlägt sich mit der flachen Hand auf die Wange und beendet ein kleines Leben. So kann er das Tierchen nicht sehen, und das ist schade. Denn sonst wäre ihm vielleicht aufgefallen, daß die Stechmücke sich anders verhalten hat als alle Mücken, die |142| Werner jemals im abessinischen Hochland gestochen haben. Diese hier hielt in den letzten Sekunden ihres Lebens den Hinterleib und das hinterste Beinpaar zierlich nach oben, während sie den Rüssel durch Werners Haut bohrte. Das ist ein feiner Unterschied, gewiß, und er wäre nicht der Rede wert, gäbe es da nicht einen zweiten, weit schwerwiegenderen, der zu Munzingers Zeit noch nicht bekannt ist: Diese Mücke trägt den wissenschaftlichen Namen Anopheles, und sie überträgt Malaria. Während sie zusticht, gleiten ein paar winzige Sporentierchen durch den Rüssel unter Werners Haut; und während er gedankenlos seine juckende Wange reibt, machen sich die Sporentierchen auf zu einer wilden Flußfahrt durch seine Blutbahnen. In den nächsten Tagen wird Werner Berge besteigen, grenzenlose Weiten durchreiten und Wörterbücher zu nie gehörten Sprachen anlegen. Auch wenn er nicht so geschäftig wäre, würde er kaum bemerken, daß die Sporentierchen ihre Flußfahrt in seiner Leber unterbrechen. Zwei Wochen bleiben sie dort und vermehren sich kräftig. Aber am 9. Dezember 1861 verlassen die Sporentierchen Werners Leber, schlüpfen in vorbeiziehende rote Blutkörperchen wie Landstreicher in einen Planwagen. Und während Werner ißt und nachdenkt und schreibt und sein Maultier bepackt, vermehrt sich jedes Sporentierchen zehn- und zwanzigfach.
Am 12. Dezember klettern Munzinger und Kinzelbach auf den Berg von Algeden, etwa siebzig Kilometer östlich von Kassala; abends fühlt sich Werner schlecht. »Ich werde mich auf dem Berg wohl erkältet haben«, schreibt er in sein Tagebuch – aber das ist es nicht. Die infizierten roten Blutkörperchen sind zerfallen |143| und haben Millionen von Sporentierchen samt zugehörigen Giftstoffen freigegeben. Werners Körper reagiert mit 41 Grad Fieber. Am Tag darauf liegt er im Schatten eines Gebüschs, krümmt sich unter rasenden Kopfschmerzen und Bauchkrämpfen, fast besinnungslos übergibt und entleert er sich in den Staub, und Theodor Kinzelbach sitzt von früh bis spät ratlos daneben. Am nächsten Morgen geht es Werner Munzinger besser, die Reise kann weitergehen. In Werners Adern aber bahnt sich das nächste Drama an: Die Sporentierchen sind in zwanzigfacher Zahl über unversehrte Blutkörperchen hergefallen, um sich aufs neue zu vervielfachen und in achtundvierzig Stunden einen neuen Fieberschub auszulösen.
Chartum, 18. März 1862
Lieber Walther!
Unsere liebe Mutter will meinen Beteuerungen nie Glauben schenken, daß ich wohlauf bin und keinerlei Not leide. Diesmal geht es mir wirklich schlecht. Eine exzessive Erkältung, die sich meiner bei der Besteigung des hohen Berges von Algeden bemächtigte, trug mir das erste Fieber meines Lebens ein. Ein paar Tage Ruhe hätten mich vielleicht wiederhergestellt, aber die Nachricht, daß sich abessinische Soldaten auf Raubzug näherten, zwang uns zur Weiterreise. Um das Unglück vollzumachen, erkrankte dann auch Herr Kinzelbach infolge eines Sonnenstichs.
So kamen wir mit viel Mühe den 22. Dezember in Kassala an, wo wir uns in eine Hütte legten und mehr als sieben Wochen das Licht der Sonne |144| kaum mehr sahen. Wir ermangelten jeder Pflege, da jeder
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