Munzinger Pascha
von uns für sich selbst zu sorgen hatte und die geängstigten Dorfbewohner Besseres zu tun hatten, als Christen zu pflegen. Immer wieder hatte ich Fieberanfälle, die mich fast herunterbrachten und mir jede geistige Arbeit verboten.
Trotzdem hat sich die Reise bisher gelohnt. Beim Volk der Kunama habe ich vorgefunden, was ich bisher für undenkbar hielt: einen Menschenschlag, der weder Götter kennt noch Götzen, kein Gebet und keine Offenbarung. Ganz wie unsere materialistischen Philosophen sind sie überzeugt, daß jede Idee von einem Leben nach dem Tode ein törichtes Hirngespinst sei. Ihre Religion, wenn es denn eine ist, beschränkt sich auf eine unendliche Ehrfurcht vor dem Alter und eine ehrerbietige Pflege der Grabstätten. Ist’s gut oder schlecht? Ich weiß nur, daß diese Menschen Demokraten sind wie sonst kaum jemand auf der Welt; sie kennen keine Aristokratie der Geburt, des Geldes oder des Geistes, keine Sklaverei und keine Familie; alles geht in der Gemeinschaft auf. Die Ordnung erhalten sie aufrecht durch ein Gleichgewicht der Kräfte, in dem keiner besser ist oder sein will als der andere. So sehen wir ein Volk, das keinen Staat und keine Kirche nötig hat, um friedlich und glücklich zu leben; wenn man es vor dem Luftzuge der Geschichte bewahren könnte, würde es noch hunderttausend Jahre existieren, ganz im Gegensatz zu den aristokratischen Nachbarvölkern Abessimens, die sich aus Adelsstolz, Habsucht und Ehrgeiz gegenseitig vernichten.
|145| Erst nach sieben Wochen fiebriger Langeweile auf dem Krankenlager waren Kinzelbach und ich so weit wiederhergestellt, daß wir den 10. Februar nach Chartum aufbrechen konnten. Der Bequemlichkeit halber ritten wir nicht dem Sonnenuntergang entgegen, sondern vorerst fünfhundert Kilometer nordwärts nach Ed Damer, wo wir unsere entkräfteten Körper auf eine Barke schleppten und dann flußaufwärts bis nach Chartum fuhren.
Seit unserer Ankunft hier in Chartum am 10. März habe ich nur einen leichten Fieberanfall gehabt; aber du hast keinen Begriff von der Schwäche, die das Fieber hervorbringt. Meine Beine können mich kaum tragen; ich bin sehr empfindlich gegen die Sonne geworden, der ich mich früher barhaupt aussetzte; rheumatisches Zucken und Zwicken in Bein und Rücken mahnen mich daran, daß ich noch immer Patient bin. Die Weiterreise wird auch nicht gerade eine Badekur werden, aber wir wollen das Beste hoffen.
Zu meiner Freude erreichte uns aus Deutschland ein Brief des Expeditionskomitées, dem auch die für die Weiterreise erforderlichen Geldmittel beilagen. Allerdings habe ich auch schwärzliche Hintergedanken. Um nach Wadai zum verschollenen Doktor Vogel vorzudringen, müßte ich das ganze Königreich Darfour von Osten nach Westen durchqueren; nun ist das aber seit Menschengedenken keinem Fremden mehr gelungen, schon gar nicht einem bleichgesichtigen Christen. Bis nach El Obeid sollten wir eigentlich gefahrlos gelangen. Dort aber werde ich die besterfahrenen |146| Leute zu Rate ziehen; gegen ihre Meinung werde ich nichts tun; so ist mir das Leben noch nicht verleidet, daß ich mit Gewalt das Eindringen in Darfour versuchen wollte. Hier in Chartum zumindest wird uns von allen Seiten abgeraten.
Was mich vor Darfour schreckt, ist nicht sowohl der Tod als lange Gefangenschaft, die dem Fremden droht. Du begreifst wohl, daß ich jetzt nicht aufgeben kann; aber ich muß dir sagen, daß ich nach meinem langen Fiebern besonders gewünscht hätte, wieder einmal einen ganzen Monat bei Euch den europäischen Komfort zu genießen.
Ich werde kaum fähig sein, mein Tagebuch von der bisherigen Reise hier in druckreife Form zu bringen; die Hitze ist groß, der Leib schwach und der Geist auch, überdies sind wir mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt.
Ich schreibe heute dem Komitée über meine weiteren Absichten; ich gebe wenig Hoffnung, und ich habe sie auch nicht. Es ist immer unangenehm, wenn man auf einen mit den Fingern zeigt, sei es in Lob oder Schande. Nun habe ich aber mit meinem Engagement für die Expedition die Bühne der Öffentlichkeit betreten – oh, wäre ich doch in meiner einsamen Dunkelheit in Keren geblieben! Welcher Geist ist es nur, der mich gegen meine Interessen zu den Menschen treibt?
Hoffentlich geht alles gut. Wenn das Geld für die Heimreise nach Europa reicht, werde ich schon bald wieder unter Euch weilen. Dann stellst Du mir Deine liebe Gattin vor, die Dich so |147| glücklich macht. Es muß ein ganz
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