Munzinger Pascha
uns gekommen. Er bekehrte sich zum Glauben des Islam, blieb fünf Tage bei uns und ging dann zu Allah über. Darauf behaupteten böse Zungen, der Sultan von Darfour lasse Fremde töten; solche Gerüchte aber mögen wir nicht, denn was hätten wir vom Blut der Fremden!
Wir alle wissen aber, daß Allah – Lob sei ihm! –, der Erhabene, jede Menschenseele in ihren Körper gesetzt hat. Mit seiner ewigen Vorsehung hat er ihr die Zeit ihres Verbleibens vorausbestimmt, und niemand kann daran etwas ändern. Wie viele Mohammedaner sind in den christlichen Reichen gestorben und wie viele Christen in den Ländern des Islam! Jeder in seiner |151| Religion, ohne Zwang und ohne üble Nachrede.
Wenn Euch nun keine schlimmen Gedanken und Zweifel befallen, so schreibt uns schnell eine Antwort, auf daß wir Euch die Erlaubnis zum Hereinkommen geben, wenn uns Allah bis dahin noch leben läßt. Ihr mögt uns dann in Darfour besuchen und von da wieder zurück nach El Obeid reisen. Was aber die Weiterreise nach Wadai betrifft, so ist das eine untunliche Sache, die wir nicht zulassen können. Denn unser Gebiet ist weitläufig, und wir haben nicht viel Vertrauen zu unseren Untertanen; die Sudanesen entsetzen sich auf eine absonderliche Weise über den Anblick eines weißen Menschen, und niemand weiß, was sie in ihrem Schrecken anzurichten imstande sind.
Falls Ihr nun mit diesem Brief einverstanden seid, so schicken wir Euch einen Diener, der Euch auf dem Weg bewachen und leiten wird. Benachrichtigt uns schnell über Euren Entschluß, damit wir den Diener bald nach El Obeid entsenden können.
Munzinger reicht den Brief Kinzelbach. Das war’s, die Expedition ist zu Ende. Enttäuscht und erleichtert beginnt Werner zu rechnen: zwei Wochen Rückreise bis Khartum, weitere zwei Wochen bis Kassala, noch eine Woche bis Keren. Dann wäre er zu Beginn der Regenzeit wieder zu Hause, könnte sich vom Fieber erholen, seine Geschäfte in Ordnung bringen, von Oulette-Mariam Abschied nehmen, und dann, vielleicht noch vor |152| Weihnachten, zurück nach Europa reisen nach über zehn Jahren. Spazierengehen an der Aare, lange Gespräche mit dem Bruder, die Mutter ans Herz drücken. ›Mein Gott!‹ Werner seufzt beinahe laut auf. ›Durchs Schneegestöber zum Gasthaus laufen! Den Schnee vom Mantel schütteln! Sich hinsetzen auf der Eckbank beim Kachelofen! Eine Rösti bestellen und eine Bratwurst und ein großes, kaltes Weizenbier in einem wunderbar sauberen Humpen!‹
Da legt ihm jemand die Hand auf die Schulter. Es ist der Kurier, der fragt, ob Werner die gute Nachricht nicht hören wolle. Doch, natürlich. Der Kurier eilt hinaus und kehrt mit dem zweiten Reiter zurück. Den habe er in Darfour kennengelernt, und der wisse aus erster Hand, was mit Doktor Eduard Vogel geschehen sei. Werner Munzinger spricht lange mit dem Mann, läßt sich sicherheitshalber alles drei- und viermal erzählen. Dann entlohnt er den Kurier, setzt sich an den eigenhändig gezimmerten Tisch und schreibt einen Brief an das Expeditionskomitee im fernen Deutschland. Ohne Anrede und Einleitung berichtet er vom traurigen Schicksal des unglücklichen Doktor Eduard Vogel:
Dr. Vogel hatte ein sehr schönes Pferd; Germa, der Schutzherr Vogels in Wadai, bedeutete ihm, er möge es dem Sultan schenken. Damit aber war Vogel nicht einverstanden. Dann wollte Germa es kaufen, was auch abgeschlagen wurde. Daraufhin machte Germa dem Sultan weis, daß Vogel das Land verhexe, indem er mit Feder ohne Tinte – nämlich mit Bleistift – schreibe. Im übrigen sei Vogel ja Christ und somit
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vogelfrei. Mit dem Segen des Sultans und von Soldaten begleitet, trat Germa also vor Vogels Hütte und gab vor, der Sultan wünsche ihn zu sehen. Als der Weiße aber hervortrat, wurde er sofort niedergehauen, und Germa bemächtigte sich des Pferdes und der übrigen Habseligkeiten. Dies geschah in den ersten Tagen des Mai
1856
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Daß ein so teurer Mensch wie Eduard Vogel wegen eines Pferdes, eines elenden Pferdes, das Leben lassen mußte, will unserer Logikso wenig einleuchten, daß ich einige Erläuterungen darüber zu geben gezwungen bin.
Im monarchistischen Afrika geht der Staat im König auf. Die Herrschaft soll die Herrschsucht befriedigen und dient vor allem dazu, den Herrscher zu bereichern. Das gilt nicht nur für den König, sondern auch für die Gewalthaber auf niedrigeren Stufen. Der Hochgestellte erwartet von seinem Untergebenen Geschenke; denn nur mit Geschenken kann
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