Munzinger Pascha
dein Todesurteil gewesen. Das weißt du doch.«
Als der Besucherstrom endlich versiegt, besucht Munzinger in Begleitung von Haggenmacher die Regierungs- und Verwaltungsgebäude, die an den Gouverneurspalast angebaut sind: das Steuerbüro, die Polizeistation, das Gefängnis. Im Kerker schmachtet seit vier Jahren ein junger Mann in Ketten, der ein Kamel gestohlen haben soll, die Tat aber nie gestanden hat. Werner betrachtet den Gefangenen, der regungslos im eigenen Kot liegt – und bei diesem Anblick wird ihm so recht bewußt, daß er als Gouverneur jetzt die oberste politische, militärische und juristische Instanz ist und daß alle Einwohner des Landes seinem Befehl zu gehorchen haben.
»Wärter! Schließen Sie sofort diese Zelle auf! Entlassen Sie diesen Mann in die Freiheit!«
Tatsächlich zückt der Wärter den Schlüsselbund und schließt auf. Der Gefangene tritt blinzelnd heraus, fällt auf die Knie und will seinem Retter die Füße küssen. Werner aber stellt ihn auf die Beine, gibt ihm Geld und scheucht ihn ins Licht der Freiheit.
»Wärter! Jetzt holen Sie einen Eimer Wasser und putzen diese Zelle! Aber gründlich!«
Ohne mit der Wimper zu zucken, geht der Wärter ab und holt einen Eimer Wasser. Werner entfährt ein erstauntes kleines Lachen. Dann zieht er den verwirrten Haggenmacher am Ärmel ins Freie. »Kommen Sie, mein Lieber. Kommen Sie! Eine Menge Arbeit wartet auf uns! Als erstes verbinden wir Massaua über einen Damm mit dem Festland. Das Wasser ist höchstens zwei Meter tief, die Distanz beträgt etwa einen Kilometer |182| – das sollte eigentlich leicht zu schaffen sein, was meinen Sie? Dann legen wir eine Wasserleitung von den Bergen über den Damm bis in die Stadt. Massaua braucht unbedingt frisches Wasser. Und wenn der Handel hier wirklich gedeihen soll, brauchen wir einen Telegraphendraht, vielleicht von hier über Keren nach Kassala. Dann könnten wir über Khartum eine Verbindung mit Kairo herstellen. Und der Küste entlang müßte eine Eisenbahn . . .«
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Massaua, 1. Februar 1872
Exzellenz!
Ich habe die Ehre, Ihnen die Steuerstatistik der vergangenen fünf Jahre für die Provinz Massaua vorzulegen. Sie haben mir befohlen, jährlich 1000 Taler Steuern einzutreiben. Nun sehen Sie aber, daß alle meine Vorgänger nicht mehr als 400 Taler einnahmen.
Auf den ersten Blick möchte man meinen, daß der Gouverneur von Massaua reich ist, da er doch nur all die ausstehenden Steuern der letzten Jahre einzutreiben bräuchte. Der Verdacht liegt aber nahe, daß dieses Geld in der Bevölkerung einfach nicht vorhanden ist und also auch nicht eingetrieben werden kann.
Die Gründe für diesen Mißstand kenne ich noch nicht; aber es ist mir ein Anliegen, daß sich Ihre Exzellenz über die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse der Provinz keine falsche Vorstellung macht. Selbstverständlich habe ich alle Maßnahmen eingeleitet, um die 1000 Taler Steuern für das laufende Jahr vollumfänglich einzutreiben. Ich hoffe, daß es gelingt, ohne daß die Eingeborenen zu sehr leiden.
Zum Schluß möchte ich Ihre Exzellenz davon in Kenntnis setzen, daß mich gestern eine Delegation |184| der vornehmsten Bogos besucht hat. Sie haben den Wunsch, sich meinem Schutz zu unterstellen und künftig ihren Tribut in Massaua zu entrichten. Die Bogos gehören seit je zu Abessinien und zahlen auch Tribut an Kaiser Johannes. Nun sind sie aber unzufrieden, da der Kaiser die Ränder seines Reiches kaum gegen die ständig umherziehenden Räuberbanden schützt. Selbstverständlich habe ich keinerlei Zusagen gemacht, ohne vorher entsprechende Befehle Ihrer Exzellenz erhalten zu haben.
Bitte genehmigen Sie, Exzellenz, die Versicherungen der tiefsten Ehrerbietung Ihres demütigsten und folgsamsten Dieners
Werner Munzinger
Kairo, 21. Mai 1872
Mein lieber Munzinger Bey!
Ich bin einverstanden mit Ihrem Vorschlag, für den Bau einer Wasserleitung nach Massaua einen Schweizer Ingenieur zu engagieren. Ich gestatte Ihnen hiermit auch, die dafür notwendigen Wasserröhren aus gebranntem Ton in London zu bestellen. Und da Sie noch nicht lange auf Ihrem Posten sind, werden wir die Rechnung von Kairo aus begleichen.
Hingegen bedaure ich Ihre Mitteilungen über die Steuersituation im Governorat Massaua. Ich bin aber überzeugt, daß Ihr wacher Geist und Ihre tatkräftige Hand die Verluste bald ausgleichen werden, so daß Ihr Regierungsbezirk künftig auf eigenen Beinen zu stehen vermag und ohne Hilfe
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