Murats Traum
schloss er die T ür und ließ die Jalousie vor dem Fenster herunter. Der Kleine saß abwartend auf einem Stuhl und schaute seinem Freund zu, wie er die Matratzen wieder auf dem Boden ausbreitete. Murat schaute mich fragend an, und ich zuckte verstohlen mit den Achseln.
Carlo zog sich das weiße Leinenhemd aus, mit dem er tagsüber unterwegs gewesen war, die schwarzen Army-Shorts und seine Unterhose. Er kam mir vor wie ein Priester, der sich auf ein Ritual vorbereitet. Der Kleine hatte seinen Stuhl verlassen und wartete auf allen Vieren auf einer Matratze, neben sich Philipp, der ihm langsam über den Rücken strich, die offene Dose Gleitfett in Reichweite. Keiner sprach mehr ein Wort. Auf einmal wusste ich, was jetzt passieren würde. Ich hatte es in irgendeiner Bar in einem Porno gesehen, einigermaßen fassungslos. Murat stellte leise sein Glas auf den
Tisch.
Carlo hockte sich hinter seinen Freund und langte tief in die Dose. Ich hörte die tiefen Atemz üge des Kleinen, als Carlo anfing, abwechselnd seine Hand und Pauls Arsch mit dem Fett einzuschmieren. Murat zog sich ein T-Shirt an und starrte auf Carlos Finger, die sich langsam ihren Weg bahnten, erst zwei, dann drei Finger, schließlich alle vier. Nur der Daumen schaute noch heraus, und schließlich verschwand auch er zwischen den glänzenden Arschbacken des Kleinen. Ich sah Carlos Mund, ohne die Spur eines Lächelns, konzentriert auf das Eindringen seiner Hand und auf Pauls Reaktionen.
Philipp merkte, wie ich Carlo anstarrte, und wir wechselten einen langen Blick, der so ziemlich alles enthielt, was zwischen uns noch nicht ausgesprochen war.
Murats Augen baten mich, mit ihm zu kommen. Ich schnappte mir auch mein T-Shirt vom Stuhl und bedeutete Philipp, dass wir draußen wären. Er nickte.
Murat schnaufte erleichtert, als wir im Freien waren, und wir trotteten schweigend runter zum Strand, der jetzt fast menschenleer war. Die Sonne hing als flammender Ball eine Handbreit überm Horizont und verströmte ein unwirkliches, weiches Licht. Auch Murat wirkte weich, durchdrungen von diesem Licht. Ich spürte, dass er etwas loswerden wollte. Wir setzten uns in den Sand. Ich wartete. Der flache Wellengang vom Tage war v öllig zum Erliegen gekommen. Die Wasseroberfläche dehnte sich spiegelglatt vor uns aus.
«Oli? Sag mir jetzt deine ehrliche Meinung. Wegen Paul. Irgendwie ist er doch auch wie ein Mädchen, oder?»
«Weil er sich ficken lässt? Oder was meinst du damit?»
«Ich weiß auch nicht. Du siehst ihn ja ... Ich meine, ehrlich, ist Paul eine Frau oder ein Mann? »
«Ein Mann. Aber ich verstehe deine Frage immer noch nicht.»
«Ich weiß.» Murat nickte. Meine Antwort machte ihn nicht froh. Ein Mann. Er blickte zerknirscht auf seine breiten, kräftigen Füße. Ich hätte ihm gerne geholfen, aber wie? Hatte er sich in den Kleinen verliebt, wollte er mit ihm zusammen sein? Er wollte mit keinem Mann zusammen sein, das war das Problem.
Plötzlich stand Murat auf. Ich traute meinen Augen kaum: er zog sich nackt aus. Der Sonnenuntergang überflutete seinen einsamen Körper, den so viele begehrten. Er sah mich nicht an und machte einen Schritt zum Wasser hin. «Ich will ins Tiefe.»
«Soll ich mitkommen?»
«Ja.»
Wir liefen bis zur Brust ins Meer raus. Unter Wasser nahm ich Murats Hand. Er blickte starr geradeaus, und wir liefen mit winzigen Schritten langsam weiter, bis das Wasser über unsern Schultern zusammenschlug. Da blieb Murat stehen. Ich war stolz auf sein Vertrauen und schlang von hinten meinen linken Arm um Murats Brust. «Jetzt lass los, ich halte dich. » Und dann zog ich ihn hinaus. Wir verloren den Boden unter den Füßen. Im ersten Moment strampelte er noch, doch dann lag er wie tot in meinem Arm. Ich schwamm mit ihm vom Ufer weg. Es waren nur ein paar Meter. Aber immerhin.
Voll erwischt
Die neue Woche hieß für mich Baumarkt. Sie erweiterten die Pflanzenabteilung und brauchten für ein paar Tage Aushilfen. Die meisten kannte ich schon von früheren Gelegenheiten, Mutters Kollegen sowieso. Damit keiner sagen konnte, als Sohn von Frau Fratzelt würde ich irgendwie bevorzugt, ackerte ich für drei und hielt die Pausen ein. Der Kopf wurde leer dabei und die Kohle gab es abends immer gleich auf die Hand.
Es muss der Mittwoch gewesen sein. Der Kran war kaputt, und alles lief von Hand. Die Knochenarbeit war ungewohnt für mich. Ich hatte bereits anderthalb Millionen S äcke mit Pflanzenerde abgeladen, starrte vor Dreck und konnte kaum
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