Murray, Paul
fiel gerade ein, dass ich eine ganze Reihe von
Jahren Vaters Pfauen betreut hatte. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob
diese Art Erfahrung von Relevanz war, zumal die meisten der Pfauen in meiner
Obhut gestorben waren. Ich beschloss also, sie erst gar nicht zu erwähnen.
»Interessen?«,
fragte Gemma. »Hobbys?«
»Ich
schaue mir gern alte Filme an«, sagte ich. »So um Mittag rum kommt meistens ein
guter.«
»Sicher.«
Gemma klackerte mit ihren Fingernägeln auf das schiefergraue Furnier der
Schreibtischplatte. »Ich brauche etwas Proaktiveres als das, Charles. Sie
müssen mir da schon ein bisschen helfen. Was genau ... Erzählen Sie mir, was
genau Sie sein wollen.«
»Sein...
?« Ich hatte eigentlich nie irgendetwas Spezielles sein wollen -
nicht wie Bel, zum Beispiel, die Schauspielerin sein wollte, seit sie zwölf
war, und vor dieser Zeit umfängliche Vorbereitungen für den Tag getroffen
hatte, an dem sie Zarin würde.
»Anders
gefragt: Wo sehen Sie sich heute in fünf Jahren?«
Ich tippte
mir mit dem Zeigefinger gegen die Unterlippe. Eine unwiderstehliche Frage. Fünf
Jahre! Ich sah mich in der Zukunft als jemanden, der die Verworrenheit dieser
komplexen Welt gemeistert hat, und ich sah das annehmliche Drum und Dran, das
mein erfolgreiches Leben mit sich brachte. Ich sah mich in einer prachtvollen
Luxuswohnung mit Art-deco-Drucken und verspiegelten Decken und automatischen
Fenstern mit Blick über die ganze Stadt. Und dort saß ich dann an meinem
Computer und tippte mit leichter Hand E-Business-Lösungen. Ich stellte mir die
eleganten Bars vor, wo ich mit meinen neuen Freunden Gimlets trank, und wie wir
am Wochenende auf die Gokart-Bahn gingen oder ins Theater, um uns Cats anzuschauen.
Ich sah ausgeruht und zufrieden aus. Für alles war gesorgt; das Leben war schön.
Aber dann dachte ich, fünf Jahre? Wie würde
es wohl in fünf Jahren in Amaurot aussehen? Und sofort löste sich das Paralleluniversum
meiner erfolgreichen Karriere in Luft auf, und ich sah mich wieder in einer
Hausjacke durch den Obstgarten schlendern und mit einem kräftigen Knüppel die
Brennnesseln wegschlagen; ich sah Bel, die mit einem dicken Manuskript in der
Hand auf dem Rasen hin und her geht und den Text für das nächste Vorsprechen
vor sich hinmurmelt; ich sah Mrs P, die mit einer Karaffe Limonade in der Tür
steht; und ich sah Mutter und Mirela und all die anderen, die einfach da sind
und keinen Gedanken daran verschwenden, wie oder warum oder... »Charles?«
»Ja?« Ich
schaute Gemma verwirrt an. »Ah ja, richtig, fünf Jahre. Na ja, irgendwo halt,
nirgendwo speziell.«
Gemma
seufzte. »Charles, so geht das nicht. Wie soll ich etwas für Sie finden, wenn
Sie keine Vorstellung davon haben, wohin Sie überhaupt wollen? Der Arbeitgeber
von heute will Engagement. Er will sicher sein, dass Sie seine Träume und
Ziele teilen. Weil das nämlich die Wurzel dieses Booms ist, Charles. Es geht
nicht nur um amerikanisches Risikokapital und die drastisch reduzierten
Unternehmenssteuern, die wir hier in Irland haben. Es geht darum, dass sich
junge, begabte Menschen zusammentun, um einen Traum zu leben. Verstehen Sie,
Charles? Einen Traum! Es reicht nicht, dass einer von der Straße reinkommt und
sein Stück vom Kuchen will, er muss auch wissen, was der Kuchen überhaupt ist,
Charles. Was ich meine ... wollen Sie den Kuchen überhaupt?«
»Nun ja,
ich will essen«, sagte ich erregt. »Und ich würde auch ganz gern wieder in
einem Bett schlafen...«
»Natürlich
wollen Sie das!«, sagte Gemma. »Natürlich wollen Sie eine schöne Wohnung und
ein großes Auto. Wer will das nicht? Aber ihr künftiger Arbeitgeber erwartet
mehr als das. Und wenn ich ihm das hier faxe...« - sie hielt das
Bewerbungsformular hoch - »... dann, fürchte ich, wird er darin nicht die
talentierte, visionäre Persönlichkeit sehen, die Sie ja sind, wie ich weiß, sondern
jemanden, dessen Leben vor drei Jahren einfach stehen geblieben ist.«
Ich wurde
bleich. Stehen geblieben? Wie konnte sie so etwas behaupten,
wo doch so viel passiert war? Bels Collegezeit, der nicht aufzuhaltende Strom
ihrer Männer, meine Bemühungen, die Vornehmheit der Renaissance wieder aufleben
zu lassen, Mutters Zusammenbruch, Mrs Ps Zusammenbruch, Vaters Tod und all das
Wehklagen bei der grauenvollen Beerdigung...
»Okay«,
sagte Gemma aufgekratzt und klopfte sich mit den Händen auf die Schenkel. »Ich
möchte mich nochmals für Ihren Besuch bedanken, Charles. Dies ist
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