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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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Hoyland.
    »Ha?«
    »Alles
Schwindel«, sagte er. »Nichts als verdammter Schwindel.«
    »Oh.«
    »Ich
bestreite ja gar nicht, dass da Leute reich werden. Aber eins kann ich dir
sagen, Hythers: Das sind nicht die Burschen in den Schützengräben, Leute wie du
und ich. Mit rudimentären Kenntnissen in Theologie kommt man heutzutage nicht
weit. Heute heißt es: Computer. Für diese Technologieleute sind wir nur
Drohnen. Abschaum. Die Zeitung von gestern.«
    »So schlimmm kann's ja nun auch
nicht sein«, sagte ich.
    »Und ob«,
sagte er und wischte mit einem Stück Brot seinen Teller sauber. »Es ist sogar
noch schlimmer. Schau mich an, Hythloday. Schau dir meine Handgelenke an, hier.
Die haben mal ausgesehen wie die von diesen zwölfjährigen russischen Klavierwunderkindern.
Und jetzt? Verschlissen! Eins hab ich mir letzte Woche beim Pingpongspielen
verstaucht. Pingpong, Charles!«
    »Ruhig, alter Junge, du spuckst ja
schon.«
    »Mir
scheißegal!«, brüllte Hoyland und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Krieg du
erst mal mit, wie's läuft, dann fängst du auch an zu spucken! Den ganzen Tag void und Powerpoint in einen
Scheißcomputer hacken, dann nach Hause in einen Schuhkarton von Wohnung, um
den ganzen Wohnblock Elektrozäune, damit keiner von den Nachbarn aufs
Grundstück kommt, und den ganzen Abend bis zum nächsten Morgen kriegt man
keinen einzigen Menschen zu Gesicht - so kann man doch nicht leben. Früher habe
ich gelebt, ich weiß, dass das kein Leben ist!«
    Die
Bürotypen am Nebentisch waren verstummt und warfen uns argwöhnische Blicke zu.
    Hoyland
holte tief Luft. »Tut mir Leid«, sagte er. Er fummelte sich eine Zigarette aus
der Schachtel, die vor ihm auf dem Tisch lag, und zündete sie an. Erstaunt
musterte ich seine gepeinigte Miene. Ich kam mir ein bisschen wie vor Dante,
der in irgendeinem Kreis der Hölle zufällig einen seiner alten Bekannten
wiedertrifft.
    »So ist
das also mit dem Boom?«, sagte ich. »Ist ja nicht gerade wie bei Scott
Fitzgerald, oder?«
    »Ich sag
dir, wie es ist«, sagte er niedergeschlagen. »Du kommst dir vor wie in Rom zu
Caligulas Zeiten. Alle anderen feiern Orgien, und du bist der Volldepp, der
solange das Pferd halten darf.« Er zog heftig an seiner Zigarette. »Das Ganze
kracht irgendwann zusammen«, sagte er düster. »Und übrig bleibt nur, dass alle
mal tonnenweise teuren Käse gegessen haben.«
    Es hatte
zu regnen begonnen. Die Bürotypen nebenan schwadronierten lautstark über
irgendeinen Takeover. Hoyland rauchte schweigend seine Zigarette zu Ende.
    »Irgendwen
von der alten Truppe gesehen?«, fragte er schließlich. »Pongo, den alten
Penner?«
    »Ab und
zu«, sagte ich. »Pongo ist jetzt in London.«
    »Glückspilz«,
sagte er und starrte einen Augenblick lang ins Leere. Dann sagte er beiläufig:
»Hab gehört, dass Patsy wieder in der Stadt ist.«
    Ich
erklärte den Salzstreuer zum Reitersmann, ließ ihn einmal die Tischkante
entlanghoppeln und sagte dann: »Ach ja?«
    »Ja, sie bedient in einem Café.«
    »Ach«, sagte ich mit neutraler
Stimme.
    »Verdammt,
Hythloday«, sagte Hoyland tonlos. »Wir waren vielleicht Trottel, weißt du das
eigentlich?«
    »Was
meinst du?«
    »Du weißt,
was ich meine. Dass wir uns nicht wieder zusammengerauft haben. Dass die ganze
Bande auseinander geflogen ist, bloß wegen einem Mädchen.«
    Ich blies die Backen auf und stieß
die Luft aus.
    »Verdammt, was ist? Sag was dazu!«
    »Ach,
Scheiße«, sagte ich gereizt. »Ich weiß nicht. Das ist ja nicht einfach so
passiert, oder? Vielleicht sollte es so sein. Vielleicht war die Bande schon
überm Verfallsdatum, und das war dann nur noch der ... der Katalysator. Ich
meine, Herrgott noch mal, wenn Patsy Ole das Einzige war, was uns
zusammengehalten hat ... gerade Patsy Ole, die war so loyal wie 'ne
Roulettekugel.«
    »Und was
jetzt?«, sagte Hoyland bitter. »Verpissen wir uns jetzt alle in unsere einsamen
kleinen Privatwelten? Und das war's dann, das Leben?«
    »Weiß
nicht«, sagte ich. »Wir können ja nicht so tun, als wenn nichts passiert wäre,
oder? Ich weiß wirklich nicht.«
    Wir verfielen in mürrisches
Schweigen.
    »Klar, die
Öffentlichkeit ist die Beschissene bei dem Buy-out«, deklamierte einer der
Businesstypen am Nachbartisch mit Nachdruck. »Aber das passiert eben in einer
Revolution. Man muss begreifen, dass das ein kompletter Paradigmenwechsel in
der Managementkultur ist.«
    Hoyland
zupfte die nächste Zigarette aus der Packung, zündete sie aber nicht

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