Murray, Paul
glücklicherweise Frank ins Zimmer, und ich
nutzte die Gelegenheit, um den Bann zu brechen. Ich ging zum Barschrank und
schenkte mir einen Scotch mit Soda ein, den ich absichtsvoll bedächtig trank,
um ihr vorzugaukeln, ich dächte eingehend über das nach, was sie gesagt hatte.
Ein paar Sekunden später war ich schon wieder gelassener. Ich nahm das Glas von
den Lippen und erklärte ihr in verständigem, unparteiischem Ton, dass sie ihre
Urteilskraft von diesem für sie natürlich enttäuschenden Vorsprechen nicht
trüben lassen solle, dass wir, anstatt unüberlegte Schritte zu unternehmen,
doch erst mal versuchen sollten, diese Bankgeschichte zu klären und dann
weiterzusehen. Doch sie hatte sich schon umgedreht und widmete ihre ganze
Aufmerksamkeit Frank, der ihr mit Grunzlauten und fuchtelnden Armen die
Einzelheiten seines Racheplans erläuterte. Ich verspürte keine Lust, ihn zu
unterbrechen, und übersetzen war auch unnötig. Franks bestialisches Gestammel
war erstaunlich eloquent. Überdeutlich sah ich all die zerberstenden Fenster,
die wirbelnden Fäuste, die Flammen. Da ich ohnehin schon ziemlich mitgenommen
war, wurde mir die Atmosphäre jetzt etwas zu apokalyptisch. Ich schenkte mir
Whisky nach und sagte Bel, wir würden später weiterreden. Keine Ahnung, ob sie
mich überhaupt hörte.
Während
ich die Treppe hinaufging, dachte ich wieder über ihre Worte nach. Sie war
einfach durcheinander, sagte ich mir, und versuchte mir einzureden, dass sie
nur eine schwierige Phase durchmachte - schließlich war Bels Leben immer eine
mehr oder weniger ununterbrochene Serie von schwierigen Phasen gewesen. Aber
ich wusste auch, dass dieses gescheiterte Vorsprechen für sie mehr als nur eine
vorübergehende Schlappe war. Sie träumte in großem Maßstab, und sich selbst sah
sie mit jeder Faser im Zentrum dieser Träume; kleinere Missgeschicke und
Rückschläge schlugen als riesige Wellen über ihr zusammen und drohten sie unter
sich zu begraben. Wenn sie aufgrund irgendeines elliptischen Denkprozesses zu
dem Schluss gekommen war, dass das Haus zwischen ihr und dieser Rolle stand,
zwischen ihr und der strahlenden Zukunft, die sie sich für sich ausmalte, dann
war es fast unmöglich, sie zum Bleiben zu bewegen.
Meine
Aufgabe war klar. Ich musste einen Weg finden, um Amaurot zu retten. Ich musste
Bel zeigen, dass das möglich war, dass, anders als die wechselhafte,
unbeständige Welt da draußen, Amaurot immer ein Zufluchtsort sein würde, in dem
wir perfekt leben konnten, wo wir die Zeit nach Belieben vor- oder zurückdrehen
oder anhalten konnten. Ich tue es für sie, sagte ich mir, aber in meinem Herzen
wusste ich, dass, wenn sie wirklich ging, das Spiel auch für mich gelaufen war.
Was wäre Amaurot ohne sie? Nichts weiter als eine verlassene Filmkulisse und
ich der schmale Schatten eines von Regie, Ton und Kamera im Stich gelassenen
Schauspielers, der seinen Text ohne Publikum deklamierte ... Mit dem
Whiskyglas auf dem Bauch lag ich auf dem Bett und malte mir auf der Zimmerdecke
Strategie um Strategie aus. Aber in jedem Einfall versteckte sich ein
unüberwindliches Hindernis. Schließlich blieb nur eine Möglichkeit übrig, und
die war so entsetzlich, dass ich zu zittern anfing und in meinem Glas die
Eiswürfel klimperten...
»Charles!«
Ich
öffnete die Augen. Draußen war es dunkel. Wie lange lag ich schon hier?
»Charles!«
Bel rief aus der Halle. »Telefon!«
Ich lief
die Treppe hinunter. »Das Luchsauge«, sagte Bel und gab mir das Telefon.
»Ah ja,
richtig«, sagte ich nonchalant. »Wir wollten morgen Tennis spielen.« Ich nahm
ihr das Telefon ab. »M?«, flüsterte ich auf dem Weg ins Musikzimmer.
»C?«
»Die Lage
hat sich geändert. Wir müssen jetzt schnell handeln. Kommen wir gleich zur
Sache.«
Luchsauges
Goldsiegel-Erfolgsgarantie war kein leeres Versprechen gewesen. In den wenigen
Stunden seit unserer Unterredung hatte er alle möglichen Informationen über
meinen Widersacher zusammengetragen. Wie ich schon vermutet hatte, kam Frank
aus einer üblen Gegend, hatte eine furchtbare Schule besucht, die jedes Jahr
mindestens einmal abgefackelt wurde, war mit der schlechtesten Note unter
zwielichtigen Umständen abgegangen, hatte nie geheiratet, wird aber dennoch
verdächtigt, Vater eines oder mehrerer Kinder aus vorgenannter Gegend zu sein,
hatte eine Technikerschule absolviert - Autospengler (ein Jahr) und Autospengler
für Fortgeschrittene (ein Jahr) - und war dann mit den UN-Friedenstruppen
Weitere Kostenlose Bücher