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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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nach
Übersee gegangen. »Nach den Friedenskämpfern«, sagte MacGillycuddy, »hat er bei
einem Schrotthändler in Dublin gearbeitet, und danach ist er ins
Entrümpelungsgewerbe eingestiegen. Letztes Jahr hat er sich dann selbstständig
gemacht.«
    »Entrümpelungsgewerbe?
Was ist das denn?«
    »Im
Wesentlichen geht's darum, alten Trödel aufzutreiben, das Zeug aufzupolieren
und dann mit gigantischem Gewinn wieder zu verkaufen«, erklärte mir MacGillycuddy.
    »Wie
Antiquitäten?«
    »Nein...«
MacGillycuddy schien unschlüssig, ob er das Thema vertiefen sollte. »Es ist
mehr ... na ja, sagen wir so, Antiquitäten verhalten sich zum
Entrümpelungsgewerbe wie Museen zu Grabräuberei.«
    Ich
erbleichte.
    Die
Jagdgründe für den Entrümpelungsfachmann, fuhr er fort, sind baufällige Villen,
Pleite gegangene Tante-Emma-Läden, stillgelegte Fabriken, Krankenhäuser,
Bahnhöfe. Eben alles, was harten Zeiten zum Opfer fällt, was die wechselhafte
Wirtschaft als nicht überlebensfähig aussortiert und somit zum Tode verurteilt.
     
    Wie Krähenschwärme
machen sich die Entrümpelungsleute darüber her: bei Auktionen, in herrenlosen
Räumen, auf noch schwelender Asche. Für ein Butterbrot oder gleich zum
Nulltarif sichern sie sich das Skelett und die Innereien dieser Gebäude und
Einrichtungen; alles, was man irgendwie aufpolieren und als Antiquität wieder
verkaufen kann, netter Schnickschnack aus der Vergangenheit als Accessoires
für moderne Wohnungen, Pubs und Hotels. Erbarmungslos schilderte MacGillycuddy,
wie sie Bodenfliesen herausrissen, Treppengeländer und Pfosten wegschafften,
Lampenfassungen, Türgriffe, Ladenschilder, Laternen und Teekessel mitnahmen,
Klavierbeine absägten, Marmorplatten von Tischen montierten, Kranzleisten und
Stukkaturen zerstückelten; wie sie sich durch Kartons wühlten, auf der Suche
nach alten Bilderrahmen, Fotografien, Reklametafeln und Konzertprogrammen,
wie sie in Kleiderschränken nach Hüten, Hochzeitskleidern und altmodischen
Schuhregalen suchten. »Stop!«, schrie ich. »Aufhören, bitte.«
    Das war
weit schlimmer als alles, was ich mir vorgestellt hatte. Großer Gott, konnte es
solche Menschen überhaupt geben? Und wir, waren wir ein Entrümpelungsjob für
ihn? Konnte es sein, dass wir für ihn nur Aas waren, dass er bei uns den Tod
gewittert hatte, noch bevor wir selbst etwas davon geahnt hatten, dass er sich Bel
als seinen ganz persönlichen Schatz herausgepickt hatte ... Wut kochte in
meinen Adern. Doch gleichzeitig hörte ich in meinem Innern das Wimmern einer
ängstlichen Stimme: Wer würde mich rauben?
Auf welchem Kaminsims würde ich enden?
    »Alles in
Ordnung?«, fragte MacGillycuddy.
    Was konnte
ich sagen? Um mich herum brach alles zusammen. Plötzlich kam mir unsere
Vernichtung nicht nur unerbittlich, sondern auch absolut logisch vor. Es blieb
nur eine einzige Möglichkeit.
    »Wie war
das noch mal, wenn man seinen eigenen Tod vortäuschen will?«
     
    Vier
     
    »ABER DAS IST SO drastisch...«
    »Überhaupt
nicht. Sie wären überrascht, wie viele Leute das heute machen.«
    MacGillycuddy
saß mir gegenüber auf der Bank, an seinem Bein lehnte ein Postsack. »Leute aus
allen Schichten machen das, vom reichen Rechtsanwalt bis zum einfachen
Gemüsehändler. Das kommt viel öfter vor, als Sie glauben.«
    Über
unseren Köpfen hüpfte eine Amsel auf dem bröckelnden Dachgesims herum.
MacGillycuddys Stimme schien von weit her zu kommen. »Die Sache mit dem Tod
schlägt Ihnen aufs Gemüt. Das ist eine ganz natürliche Reaktion: Man hört das Wort,
und schon macht man sich Sorgen. Aber der Punkt ist, dass Sie ja gar nicht
sterben. Sie tun nur so. Ich weiß, das ist ein großer Schritt, das will ich gar
nicht abstreiten. Aber eigentlich ist da nicht mehr dabei, als wenn Sie Ihre
Küche renovieren lassen, zum Beispiel, oder sich ein neues Auto kaufen.«
    »Hmm ...«
Vor der Pavillontür hing ein dichter Efeuvorhang, der das einfallende Licht
filterte. Das alles wurde wahrscheinlich nur noch durch Efeu zusammengehalten,
dachte ich mürrisch. In diesen Winkel des weitläufigen Obstgartens kam niemand
mehr.
    »Eine
zweite Sache, worüber die Leute sich oft Sorgen machen, ist der Verlust der
Identität«, sagte MacGillycuddy. »Keine Frage, die Identität eines Menschen ist
was sehr Spezielles. Nur die Identität sagt uns, wer wir sind, und deren
Verlust ist was, mit dem jeder Kunde selbst klarkommen muss.« Er rutschte auf
der Bank herum und hob philosophisch den Finger. »Wichtig

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