Murray, Paul
herrscht.
»Keine Uniformen der irischen Regimenter? Keine Gewehre, Bajonette, Medaillen,
Landkarten?«
»Tut mir leid«, wiederholt der Mann betreten. »Das ist
augenblicklich nicht besonders gefragt. Wir haben allerdings eine Ausstellung
darüber geplant.«
»Für wann
geplant?«
Der Angestellte rechnet. »In drei Jahren.« Er sieht Howard
die Enttäuschung an. »Sie könnten mit den Jungen zum Gedenkpark in Islandbridge
gehen. Es ist wirklich nur ein Park. Aber mehr gibt es wohl nicht, furchte
ich.«
Howard bedankt sich und tritt wieder ins Freie; die Klasse
wogt hinterher wie ein murmelnder Umhang. Auf dem Kopfsteinpflaster scharen
sie sich erwartungsvoll um ihn. »Tut mir leid«, sagt er. »Es ist meine Schuld,
ich hätte vorher anrufen sollen. Es tut mir leid.«
Ihre Enttäuschung, das weiß er, entspringt nur der Furcht,
das könnte schon das Ende ihres Ausflugs bedeuten. Trotzdem, wie sie da so in
dem schwachen Licht stehen, das durch die Wolken dringt, leise mit den Füßen
scharren und auf weitere Anweisungen warten, wirken sie anders als sonst im
Schulalltag - jünger, weniger zynisch, ja sogar unbeschwerter, als trügen sie
schwer an Seabrook und wären nun, von der Last befreit, kurz vor dem Abheben
...
Auf den Kais schnaufender Verkehr, der schimmernde Kohlenmonoxidschwaden
ausstößt. Der Park klingt nicht sonderlich aufregend; Howard ringt noch mit
sich, ob er zum Rückzug blasen soll, da klingelt sein Handy. Es ist Farley.
»Wo zum Teufel steckst du, Howard?«
»In der Stadt«, sagt Howard. »Auf einem Klassenausflug.«
»Auf einem Klassenausflug? Ohne irgendwem Bescheid zu sagen?«
»Es war sozusagen eine Spontanentscheidung«, gibt Howard
in wohlbedacht neutralem Ton zurück.
»Greg springt im Sechseck, Howard, wir haben ihm grade
noch ausreden können, die Polizei zu verständigen. Großer Gott, sag mal,
spinnst du? Ich meine, was soll denn das?«
»Ich weiß nicht«, sagt Howard nach kurzem Überlegen.
Farley entfährt ein halb erstickter Seufzer. »Hör zu, wenn
du auch nur den Hauch einer Chance haben willst, deinen Job zu behalten, dann
komm schleunigst wieder zurück. Greg geht die Wände hoch, ich hab ihn noch nie
so wütend erlebt.«
»Oh«, sagt Howard.
»Vielleicht solltest du besser selbst mit ihm reden -
bleib dran, ich geb ihn dir, dann kannst du -«
Howard drückt ihn weg und schaltet das Handy aus. »Okay«,
sagt er. »Dann suchen wir mal diesen Gedenkpark.«
Die Jungs gucken mit einem Schlag sehr viel munterer und
laufen vor ihm her die Straße entlang.
Er hat von dem Park gelesen, ist aber noch nie dagewesen.
Islandbridge ist ein abgelegenes und nicht allzu einladendes Viertel von
Dublin. Ausgebleichte Plakate für musikalische Darbietungen vom Vorjahr sind
so ziemlich die einzigen Farbkleckse, die man hier sieht; heruntergekommene
Kneipen blicken auf ein Straßengewirr, in dem sich vor gut hundert Jahren
Tausende hiesige Prostituierte der Bedürfnisse der britischen Soldaten annahmen,
die in der nun zum Museum umgebauten Kaserne stationiert waren. Es ist
mittlerweile wohl nicht mehr der größte Rotlichtbezirk Europas, aber
irgendwelche Verschönerungstendenzen kann man ihm deshalb noch lange nicht
vorwerfen. Richtung Fluss werden die Fassaden der Mietshäuser zunehmend
dreckig und verkommen. Die Jungen sind fasziniert. »Sir, ist das hier das
Ghetto?«
»Sei still.«
»Kaufen die Leute hier Drogen?«
»Pscht.«
»Sind die Leute da auf Drogen?«
»Möchtest du gern wieder zurück zur Schule? Ja, möchtest
du das?«
»Entschuldigung.« Ihr Vertrauen in ihn ist anrührend und
erschreckend zugleich - sie wähnen sich in Sicherheit, nur weil er bei ihnen
ist, als könnte die Anwesenheit eines Erwachsenen alle potenziellen Bedrohungen
von ihnen abwehren, ein undurchdringliches Kraftfeld um sie errichten.
Das Tor zum Gedenkpark liegt am Ende einer Gasse, zwischen
einem Schrotthändler und einer Nervenheilanstalt. Im Gänsemarsch gehen sie,
einer nach dem anderen, hindurch. Der Park ist menschenleer; Howard weiß nicht,
ob er sich darüber freuen soll oder nicht.
»Wieso ist hier keiner?«, fragt Mario. »Vielleicht haben
sie gehört, dass du kommst, Mario.«
»Ja genau, Mario, sie haben gehört, dass die größte Pfeife
von ganz Dublin unterwegs ist, und sind alle ins Haus gerannt.«
»Selber Pfeife, du Arsch.«
»Ruhe jetzt, alle miteinander«, schnauzt Howard.
Abgesehen von seiner gespenstischen Leere, wirkt der
Gedenkpark wie jede andere Grünanlage.
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