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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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Kopf. »Es ist nicht recht, Howard. Es ist
einfach nicht recht.«
    Schwer auf das Pult gestützt, wartet Howard, bis alle
Schüler ins Klassenzimmer geschlurft sind. Ruprecht kommt als Vorletzter, walzt
zu seinem Platz wie eine ungesund aufgedunsene Matrone. Als so weit wie möglich
Ruhe eingekehrt ist, sammelt sich Howard und sagt: »Heute möchte ich euch
etwas ganz Besonderes zeigen.« Allgemeines Gekicher. Er nimmt die Uniform aus
der Tragetasche.
    »Die hat einem irischen Soldaten gehört, der im Ersten
Weltkrieg gekämpft hat«, sagt er. »Er hieß William Molloy und hat diese
Schule hier besucht - genauer gesagt, er war Justers, Daniel Justers
Urgroßvater.« Der Name fühlt sich verkehrt an in seinem Mund, fremdartig, und
er bleibt ohne Wirkung auf die Jungs; sie schauen weiter so desinteressiert,
als hätten sie einen Straßensänger vor sich, der sich vergeblich müht, ihnen
die Wartezeit bis zum Eintreffen des Busses zu vertreiben.
»Er hat sich
1914 freiwillig gemeldet, nachdem Lord Kitchener...«
    Von hinten ertönt lautes Gegacker; draußen ist offenbar
etwas Belustigendes im Gange. Howard bricht ab, dreht sich zum Fenster und
sieht Carl Cullen über den Parkplatz auf die Schule zustolpern.
    »Hat wohl vergessen, dass er vom Unterricht ausgeschlossen
ist«, bemerkt jemand hämisch. »Ist schon das zweite Mal diese Woche.«
    »Der hat sie doch nicht alle«, kommt es von jemand
anderem.
    Selbst aus dieser Entfernung ist Carls irrer Blick zu
sehen, und eine lähmende Sekunde lang liest Howard aus seinem schwankenden
Gang ab, dass etwas Schreckliches bevorsteht ... Aber er trägt keine Jacke und
hat auch keine Tasche dabei, wo sollte er also eine Schusswaffe verstecken;
außerdem, sagt Howard sich, passiert so etwas nur in Amerika, nicht hier, bis
jetzt jedenfalls noch nicht ... Da tritt ein Lehrer aus dem Schultor, um ihn
abzufangen. »Slattery«, sagt jemand.
»Vielleicht
will er ja noch ein paar Sechser kassieren.«
    Howard sieht, wie der alte Mann den Jungen bei den Schultern
fasst, sich zu seinem schlaffen Gesicht hinbeugt und leise ein paar Worte zu
ihm sagt, um ihn dann dorthin zu schicken, wo er hergekommen ist.
    »Bloß gut, dass der Automator ihn nicht gesehen hat«, sagt
Vince Bailey. »Sonst müsste er noch eine Woche zu Hause bleiben.«
    »Ja klar, als ob ihm das groß was ausmachen würde«,
spottet Conor O'Malley.
    »Ach richtig, hab ich ganz vergessen, du bist ja sein
bester Freund, der alles über ihn weiß.«
    »Fick dich, Arschloch.«
    »Schluss jetzt, Schluss jetzt.« Howard pocht auf das Pult.
»Wir sind schließlich zum Arbeiten hier. Also, sehen wir uns einmal an, was
diese Uniform uns erzählen kann.«
    Er hält sie hoch wie einen Gral, der über die Macht
verfügt, die Nebelwand zu durchdringen. Doch im Morgenlicht, von den Jugendlichen
mit ätzenden Blicken beäugt, scheint die Uniform ihnen nicht viel zu sagen zu
haben. Sie zeugt nicht mehr bis in die letzte Faser von Geschichte oder sonst
irgendetwas, den Geruch nach Mottenkugeln einmal beiseitegelassen. Und als
Howard versucht, sich in Erinnerung zu rufen, in welchem Glanz sie ihm am
Abend zuvor erschienen ist und zu welcher Läuterung er damit seinen Schülern
verhelfen wollte, sieht er nur die kleine Szene im Lehrerzimmer vor sich: Toms
Freude über den für ihn geschaffenen Ausweg; die Zuneigung und der Stolz des
Automators, echte Zuneigung und wahrer Stolz; die Schar der Gratulanten aus der
Belegschaft und er selbst, Howard, der dem Trainer die Hand schüttelt.
    Irgendwer bringt ein Gummiband mit den Zähnen zum Sirren,
irgendwer gähnt.
    Warum sollten sie sich für das Wohl und Wehe der >D<-Company
interessieren? Warum sollten sie irgendwas von dem glauben, was er ihnen
erzählt, oder was sie sonst innerhalb dieses Schulgemäuers zu hören bekommen?
Sie wissen, wie es zugeht, sie wissen, wie es an solchen Orten läuft - selbst
wenn sie nicht wissen, dass sie es wissen.
    »Herrgott noch mal«, sagt er.
    Die Jungen beäugen ihn lahm, und mit einem Mal glaubt Howard
zu ersticken, als wäre kein Quäntchen Luft mehr im Zimmer. »Okay«, sagt er.
»Geht und holt eure Jacken. Wir verschwinden von hier.«
    Nichts rührt sich. Howard klatscht in die Hände. »Na los
doch, ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Setzt euch in Bewegung.« Er
weiß nicht, was er wie gemeint hat, weiß nur, dass er es keinen Augenblick
länger in dem Zimmer aushält. Als den Jungen klar wird, dass es ihm ernst
damit ist - was immer über ihn gekommen

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