Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
Vom Netzwerk:
unsichtbaren Stoff namens Äther erfüllt sei. Die Wissenschaftler
begriffen nicht, wie die Wellen, die sie entdeckt hatten - Lichtwellen,
Funkwellen und so weiter -, sich durch ein Vakuum fortbewegen konnten. Es
musste ein Träger für sie vorhanden sein. Darum verfielen sie auf den
sogenannten Lichtäther, mit dessen Hilfe ihrer Meinung nach das Licht von der
Sonne zur Erde gelangte und der alles mit allem verband. Die Spiritisten
stellten die These auf, dieser Äther mache selbst vor festen Stoffen nicht
halt, er sei das Bindeglied zwischen Seele und Körper, zwischen der Welt der
Lebenden und der Toten.«
    »Äther.« Ruprecht nickt vor sich hin.
    »Genau. Lodge glaubte, wenn elektromagnetische Wellen diesen
Äther passieren könnten, sei eine Kommunikation mit den Toten nicht nur
wissenschaftlich plausibel, sondern auch in Reichweite der damaligen Technik.
Laut Raymonds Schilderungen von Summerland konnten die toten Soldaten sehr
schwache Emanationen aus der Welt der Lebenden hören - vor allem Musik,
bestimmte Musikstücke drangen durch den Schleier. Und so legte Lodge in seinem
Buch die ersten Prinzipien dar, nach denen diese Kommunikation seiner
Auffassung nach funktionieren würde.«
    »Und was geschah dann?« Ruprecht hat sich so weit über den
Tisch gebeugt, dass er über seinem Sitz zu schweben scheint. Howard, der sich
allmählich unbehaglich fühlt, versucht seinen Stuhl ein Stückchen nach hinten
zu schieben, stellt jedoch fest, dass er mit dem Fußboden verschweißt ist.
»Nichts«, sagt er.
    »Nichts?« Ruprecht sieht ihn verständnislos an.
    »Na, es ist natürlich schiefgegangen, ich meine, es war
verkehrt, es stimmte hinten und vorne nicht. Weil es keinen Lichtäther gibt.
Es gibt keine geheimnisvolle Substanz, die alles miteinander verbindet. Lodge
wurde zur Witzfigur, sein Ruf war ruiniert.«
    »Aber ...« Ruprecht lässt den Blick ungläubig über den
Tisch gleiten, wie ein Investor, der soeben erfahren hat, dass sein gesamter
Wertpapierbestand nur noch Makulatur ist. »Aber wieso hat es nicht
funktioniert?«
    Howard versteht nicht recht, was hier vorgeht, warum
Ruprecht sich das so zu Herzen nimmt. »Ich glaube, man darf nicht vergessen, in
welchem Zusammenhang Lodges Arbeiten entstanden sind«, sagt er vorsichtig. »Ja,
er war ein bedeutender Wissenschaftler. Aber er hatte auch gerade erst seinen
Sohn verloren. Andere Verfechter des Spiritismus befanden sich in der gleichen
Lage - Sir Arthur Conan Doyle beispielsweise hatte ebenfalls einen Sohn im
Krieg verloren. Die Menschen, die Lodges Buch kauften, die selbst Seancen veranstalteten,
die Soldaten in den Schützengräben, denen die Geister ihrer Freunde erschienen
- sie alle waren in Trauer. Es war eine Welt, die buchstäblich vor Schmerz
verrückt geworden war. Gleichzeitig war es ein Zeitalter, in dem Wissenschaft
und Technik Antworten auf alle Fragen verhießen. Mit einem Mal konnte man mit
jemandem am anderen Ende der Welt sprechen - warum dann nicht auch mit den
Toten?«
    Ruprecht hängt an seinen Lippen, mit glasigem Blick und angehaltenem
Atem. »Aber es ging eben nicht«, sagt Howard und wiederholt es
sicherheitshalber noch mal: »Es ging nicht«, um sich gegen die geballte
Feindseligkeit zu wappnen, auf die diese Information stößt - ein Blick, der
irgendwo zwischen geknickt und aufmüpfig angesiedelt ist.
    »Aber, er hat doch gesagt, bei seinen Experimenten hätte
er mit Toten geredet«, wendet der Junge ein.

»Ja, aber das
begreift man am besten als Manifestation eines -«
    »Weil, dass ihm keiner geglaubt hat, bedeutet doch noch
lange nicht, dass es nicht stimmt.«
    »Na ja ...« Howard weiß nicht recht, was er darauf sagen
soll.
    »Es gibt viele Sachen, die wahr sind, und die Leute
glauben nicht daran.« Ruprecht spricht in der gleichen Tonlage und Lautstärke
wie zuvor, dennoch klingt seine Stimme auf undefinierbare Weise eindringlicher
und lässt das ausländische Paar von seiner Landkarte aufschauen. »Und
andererseits behaupten sie, viele Sachen wären wahr, die es gar nicht sind.«
»Vielleicht,
ja, aber das heißt nicht -«
    »Woher wissen Sie denn,
dass er falsch lag? Woher wissen Sie, dass die Soldaten und die anderen einfach
bloß halluziniert haben? Woher wollen Sie das wissen?«
    Er bringt all das mit einer Vehemenz vor, die sein
wächsernes Gesicht zornrot färbt und ihn wie eine rachsüchtige Qualle aussehen
lässt, sodass Howard ihm wohlweislich nicht widerspricht, sondern nur
vieldeutig nickt und die halb

Weitere Kostenlose Bücher