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Murray, Paul

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Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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gesetzt, denn was hatte es schon gebracht, die M-Theorie,
Professor Tamashi und der ganze Kram? Hatte Dennis nicht recht, war es nicht
nur ein riesiger Rubik-Würfel, mit dem Ruprecht sich die Zeit vertrieb, dessen
Klötzchen er nach Farben ordnete, in der Gewissheit, dass es niemals eine
Lösung geben würde? Und trotzdem, als Howard den Wissenschaftler erwähnte, diesen
Sir Oliver Lodge, war es, als hätte der ihm über die Jahrzehnte hinweg auf die
Schulter getippt. Und wie sehr Ruprecht ihn seither auch fortgewünscht hat, er
ist immer noch da. Tipp. Tipp.
    Ruprecht hätte sich allerdings denken können, dass von
einem Lehrer nichts Erhellendes dazu zu erwarten ist. Was wissen Lehrer schon
groß! Bei dem Quatsch, den sie Tag für Tag im Unterricht verzapfen! Die
Landkarten in Geografie, auf denen Afrika klein und Europa und die USA ganz
groß aussehen, die Bücher über die euklidische Geometrie, in denen es heißt,
alles bestünde aus Geraden, wo doch in Wirklichkeit alles krumm und schief ist,
das ganze Zeug von wegen, man soll immer schön bescheiden sein, und wenn man
bescheiden ist und die Regeln befolgt, wird alles super? Wird es eben nicht!
Also versucht Ruprecht es nach seiner Rückkehr vom Doughnut House mit einer
anderen Quelle. Und was das Internet dazu zu sagen hat, unterscheidet sich
ganz gewaltig von dem, was Howard ihm erzählt hat.
    Laut dem Bericht, auf den er gestoßen ist, war die Wissenschaft
in der viktorianischen Ära bei Weitem nicht so materialistisch und
konservativ, wie der Lehrer es hingestellt hat; und Lodges Experimente waren
nicht etwa die Manifestationen eines kranken Gemüts, sondern lediglich ein Element in dem Versuch diverser Wissenschaftler, mit
vereinten Kräften das letzte Rätsel um ein Leben nach dem Tod zu lösen. Mit von
der Partie waren unter anderem Alexander Graham Bell mit seinem Telefon, Thomas
Edison, der geistige Vater des Geistfinders, John Logie Baird, der Erfinder des
Fernsehens (dem bei einer Seance Edisons Geist erschien), William Crookes,
Nikola Tesla, Guglielmo Marconi - wenn man es genau betrachtet, beruht fast die
ganze Kommunikationstechnologie des 21. Jahrhunderts auf wissenschaftlichen
Versuchen, mit den Toten zu sprechen.
    Und eine Zeit lang, zu Beginn des vergangenen
Jahrhunderts, schienen sie durchaus kurz vor einem Durchbruch zu stehen. Die
einander jagenden Entdeckungen - von Hertz, Maxwell, Faraday, Lodge, Einstein
mit seinem gewellten Raum, Schwarzschild mit seinem dunklen Stern, wie er zuerst hieß, dann schwarzes Loch, ein Loch in unserem Universum -
und zeitgleich der Aufstieg der Tischrücker und Hellseher und Geistfotografen,
all das Klopfen an der Wand, das nicht von Menschenhand herrührte ... Damals
erschien die gesamte Realität kraus und verzerrt wie nie zuvor, als mühten sich
unsichtbare Finger, die Hülle des Bestehenden zu durchstoßen, als ließen sich
die Schemen lange vergangener Stimmen fast schon klar und vernehmlich in den
neuen Zisch- und Störgeräuschen ausmachen ...
    Dann ging es auf einmal nicht mehr weiter. Die Spur
erkaltete. War es schlicht zu viel Tod und Verderben, mit dem man fertig werden
musste? Wollte die Wissenschaft, nachdem sie sich zwei Weltkriege lang der
Aufgabe gewidmet hatte, neue, immer perfektere Vernichtungsmechanismen zu
entwickeln, nicht mehr hören, was die Opfer womöglich zu sagen hatten?
Jedenfalls kehrten die Wissenschaftler der Geisterwelt den Rücken und
beschränkten ihr Augenmerk auf die Welt diesseits des Schleiers. Sie bauten
Computer, um der Logik zu neuer Herrschaft zu verhelfen, sie erschufen
Polymere, die sich jedem vergänglichen menschlichen Trachten anpassten; die
verborgenen Dimensionen und die Bemühungen, sie aufzuspüren, wurden gründlich
vergessen - na klar wurden sie vergessen, du Trottel, weil Lodge und alle anderen
sich geirrt haben, es gibt keinen Lichtäther, kein magisches Bindeglied
zwischen den höheren Dimensionen und der unseren, es gibt keine Tür und keine
Brücke! Und du rennst mit dem Kopf gegen eine Ziegelwand! Mit einem Laut, der
dem Meckern einer Ziege ähnelt, schleudert Ruprecht seinen unbenutzten, aber
schwer abgenagten Bleistift von sich und stemmt sich vom Schreibtisch weg;
Bruchstücke der Wahrheit schießen durch seinen Kopf wie ein heimtückischer
Multiball in einem rastlosen Flipperautomaten. Um ihn der träge Strom der
Nacht, der verschwommene Schulchor der Schnarcher. Er geht Richtung Toilette,
aus naheliegendem Grund und weil ihm nach

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