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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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sie noch einen Augenblick unter dem wuchernden Efeu stehen. Sie dachte an
die Französischstunde. Es war Monate her, aber jetzt dachte sie daran und
stellte fest, dass sie sich an fast alles erinnern konnte: der cremefarbene
Pullover, den Mr. Scott angehabt hatte, seine Haare, die so ganz allmählich
einen Tick zu lang wurden, der Geschmack des Kaugummis in ihrem Mund,
flauschige Wolken, die durch die Bäume jagten, die Härchen auf dem Nacken von
Dora Lafferty vor ihr, der Klassenzimmergeruch nach Lippenstift und alten
Turnschuhen. Sie erinnerte sich, dass sie sich merken wollte, was Paul Eluard
gesagt hatte, weil es wichtig klang. Aber solche Sachen wie die Welt-in-dieser
sind so groß, die kann man nicht allein im Kopf behalten. Man braucht wen, der
einen daran erinnert, oder dem man davon erzählen kann, und man muss es einander
immer wieder erzählen, das ganze Leben lang. Und wenn man es anderen erzählt,
binden die Dinge einen langsam aneinander, wie winzige unsichtbare Fäden, oder
wie ein Frisbee, das man hin und her wirft, oder wie Worte, die man mit Sirup
auf den Fußboden schreibt. sag lori. sag
ruprecht.
    Vielleicht bestehen die Dinge ja nicht aus Strings,
sondern aus Geschichten, einer Unzahl winziger, vibrierender Geschichten; einst
waren sie alle Teil einer großen, gigantischen Supergeschichte, bloß dass die
in eine Zillion verschiedener Teile zerbrochen ist, deswegen ergibt keine
Geschichte für sich einen Sinn, und deswegen musst du in deinem Leben
versuchen, sie wieder zusammenzuweben, meine Geschichte in deine Geschichte,
unsere Geschichten in die all der anderen Menschen, die wir kennen, bis du was
hast, was für Gott oder sonst wen wie ein Buchstabe aussieht oder sogar wie ein
ganzes Wort...
    Dann ging sie zurück zum Haus. Plötzlich war überall
Nebel, ein silberner Nebel, wie ein magischer Hauch aus der Erde; sie ging sehr
langsam, mit geschlossenen Augen, wie eine Schlafwandlerin, und stellte sich
dabei vor, sie könnte spüren, wie unsichtbare Schleier über die feinen Härchen
auf ihrem Arm wehen, über ihr Gesicht und ihre Hände streifen, hauchzart wie
ein Atemzug oder noch zarter; sie ging und träumte davon, durch all diese
Schleier hindurchzuschreiten und tiefer und tiefer vorzudringen in ... in die
Nacht? In das, wo sie schon war?
    Ruprecht hat seine Doughnuts liegen gelassen. Jetzt steht
die Schachtel neben ihr auf der Fensterbank. Sie sammelt die Pillen auf der
Kommode ein und stopft sie zurück in Lalas Bauch. Draußen wirbeln die Sirenen
in eine andere Richtung davon; es ist nur noch der Himmel da, ausgebreitet über
den Häusern, das einsame, schöne Universum, ein trauriges Lied, gespielt auf
einem zerbrochenen Instrument. Ob Skippy sie heute Nacht wohl gehört hat?
Ruprecht hat zu ihr gesagt, auch wenn man die Strings nicht sehen kann, glauben
die Wissenschaftler trotzdem an die Theorie, weil sie die schönste Erklärung
ist. Also hat Skippy ihren Song gehört, das wäre die schöne Erklärung, oder?
Für heute Abend?
    Sie greift nach ihrem Handy und versucht es noch mal bei
Carl. Sie weiß nicht, was sie sagen wird, wenn er rangeht. Vielleicht bloß, Hey!, was machst du gerade? Oder, Schau dir den irren Nebel da draußen an, ich find's toll, wenn's so
neblig ist! Sie lauscht dem Freizeichen, stellt sich vor, wie das
Telefon an dem Ort klingelt, der sein Leben ist, wie die Musik durch die Luft
schwebt, um an seine Ohren zu rühren. Sie macht die Schachtel auf und nimmt
einen Doughnut heraus. Er sieht nach Schokolade aus. Sie beißt hinein.
 
AFTERLAND
     
    A chairde (Liebe
Freunde),
    diesen meinen ersten Weihnachtsrundbrief an Sie schreibe
ich im Bewusstsein einer großen Ehre - und in tiefer Trauer. Im Bewusstsein der
Ehre, nunmehr den Posten des Direktors zu bekleiden, den - in einer Reihe mit
unzähligen illustren Männern - zuletzt Pater Desmond Furlong innehatte; in
Trauer angesichts der Tragödien, die Seabrook College in den vergangenen beiden
Monaten überschattet haben.
    Nun, da wir uns dem Jahresende nähern, ist die Versuchung
groß, den Blick auf die Zukunft gerichtet zu halten und einen Schleier über die
Ereignisse zu breiten, die uns schon solch großen Kummer bereitet haben. Doch
hier im Seabrook College ist niemand je vor Problemen zurückgeschreckt oder
vor der Vergangenheit geflohen; und obwohl Seabrooks 140. Jahr kein leichtes
war, glaube ich, dass wir, als Schule und als Gemeinschaft, neuen Mut aus dem
Geist schöpfen können, mit dem wir seinen

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