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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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des Blutergusses,
der noch immer seinen bösen Zauber ausübt, wie ein Antiamulett, ein
Pechbringer, den man nicht ablegen kann ...
    »Ach, Mr. Juster ...«
    Er ruft dich noch einmal zur Tür des jetzt leeren
Klassenzimmers zurück. Hängt da wie eine Spinne in einem unsichtbaren Netz.
»Ganz in Gedanken, Mr. Juster ...?«
    »Äh, ja, Pater.« Er verzichtet nach wie vor nicht
darauf, mit dir zu reden.
    »Bekümmert Sie etwas, mein Sohn?«
    »Nein, Pater.« Du versuchst, dich nicht zu winden unter
seinem bohrenden Blick.
    »Sie sind aber ziemlich lädiert.«
    »Ah ... ich bin gegen eine Tür gerannt.«
    »Hmm.« Die Finger, die deine zermatschte Schläfe
berühren, sind kalt und feucht und seltsam körnig, so als wäre Aschermittwoch
und er würde dir nasse Asche auf die Haut schmieren. »Das war nicht besonders
clever, oder?«
    »Nein, Pater.«
    »Was machen wir nur mit Ihnen, Mr. Juster?«
    »Ich weiß nicht, Pater.«
    »Wenn Sie nicht mal mit einer simplen Tür zurechtkommen...«
Der Pater hält inne. Ein Seufzer durchläuft seinen schmalen Körper. »Na ja,
Jungs bleiben eben Jungs.« Die schwarzen Augen funkeln. »Nicht wahr, Mr.
Juster?«
    »Äh ... ja, Pater.«
    »Tja.« Pater Green stößt die Luft aus und wiederholt
wie zu sich selbst: »Tja ...« Dann zieht er sich zurück, wie Rauch, der durch
einen Schornstein gesogen wird, und du rennst weg und wischst über die Stelle,
an der dich die Finger berührt haben, die Knochen, die sich durch deine Haut
hindurch in deine Seele zu schieben scheinen ...
     
    Als Ruprecht in dieser Nacht aus dem Labor zurückkommt,
sitzt Skippy in seine Bettdecke gewickelt im Dunkeln und liefert sich ein
Gefecht mit einer totenbleichen Hydra, die einen Eishauch ausstößt und wie in
einem Schneesturm aus Rasiermessern mit ihren Gliedern fuchtelt.
    »Sieht scheußlich aus, die Figur«, sagt Ruprecht.
    »Der Eisdämon.« Skippy sitzt im Schneidersitz auf dem
Boden und zieht mit grimmig konzentrierter Miene und zusammengepressten Lippen
den Controller nach links und rechts. Als Mr. Tomms zum Lichterlöschen den Flur
entlangkommt, schaltet er das Gerät aus und legt sich ohne ein weiteres Wort
ins Bett.
    Doch als Ruprecht ihn schon eingeschlafen wähnt, dringt
seine Stimme durch das Dunkel: »Dass Carl auf mich los ist, muss nicht
unbedingt was mit Lori zu tun haben.«
    »Nein?«
    »Carl ist ein Arschloch. Der macht so was dauernd. Da
braucht der keinen Grund dafür.«
    »Stimmt«, räumt Ruprecht ein.
    Eine Pause folgt, dann kommt die Stimme wieder über die
Kluft des Bodens zwischen den Betten. »Und außerdem, woher soll er wissen, dass
ich ihr eine SMS geschickt hab?«
    Sprungfedern quietschen, als Ruprecht sich herumwälzt,
die Hände auf dem Bauch faltet und nachdenklich die Daumen umeinander kreisen
lässt. »Also, die naheliegende Vermutung wäre, dass deine Freundin es ihm
gesagt hat...«
    Wieder eine Pause, wie in einem Ferngespräch früherer
Zeiten, dann die trotzige Antwort: »Das würde sie nie tun.« Skippy dreht sich
zur Wand, und kurz darauf dringt aus seinen Kopfhörern blecherne Musik, der Bethani -Song im
Miniaturformat, wie ein Qlashüpferkonzert auf einer fernen Wiese.
    Ruprecht, noch ganz überzuckert von den Doughnuts, die
er gegessen hat, kann nicht schlafen. Er steht auf, öffnet das SETI-Fenster und
schaut eine Weile zu, wie der Computer die sinnlosen Nachrichten verarbeitet,
die das Universum ihm schickt; er stellt eine Liste beliebiger M-Wörter auf, moos, marker, milch, makrele, um zu sehen, ob sich irgendwelche ungewöhnlichen Verbindungen
ergeben; er schaut zu, wie sich die Silhouette seines in eine Wolke aus
Nanomusik gehüllten Freundes hebt und senkt.
    Er denkt über Asymmetrie nach. Wir leben in einer Welt,
denkt er, in der man im Bett liegen und einen Song hören und dabei von jemandem
träumen kann, den man liebt, und die eigenen Gefühle und die Musik entfalten
eine solche Kraft, dass es unmöglich scheint, dass der oder die Geliebte, wer
immer er oder sie sein mag, nichts davon merkt und das
pulsierende Signal nicht empfängt, das vom eigenen Herzen ausgesendet wird, als
seien man selbst und die Musik und die Liebe und das ganze Universum zu einer
einzigen Energie verschmolzen, die ins Dunkel hinaus kanalisiert werden kann,
um ihm oder ihr die Botschaft zu überbringen. Aber in Wirklichkeit wird er
oder sie nicht nur nichts davon merken, es wird ihn oder sie auch nicht daran
hindern, genau im selben Augenblick im Bett zu liegen, genau denselben

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