Murray,Paul
schreien und grölen Tag und Nacht herum. Abschaum ist das, auf Drogen, alle
miteinander! Die Drogen, die haben das Viertel kaputt gemacht. Dabei war's
früher so schön hier, Pater, wissen Sie noch? Richtig schön. Jetzt traut man
sich abends nicht mehr vor die Tür. Nicht mal am helllichten Tag ist man seines
Lebens noch sicher. Die sehen dich, und schon haben sie dich niedergeschlagen.
Die sind in deiner Wohnung, kaum dass du zur Tür raus bist.
Pater Green nickt und nippt an seinem Tee. In
Wirklichkeit war es hier nie schön, jedenfalls nicht in den letzten zwanzig Jahren,
seit er hier seine Besuche macht. Der Wirtschaftsaufschwung ist nicht bis
hierher vorgedrungen; wenn man aus dem Fenster schaut, wähnt man sich noch in
den Achtzigerjahren: die Drogenszene in voller Blüte, eine untätige Polizei,
untätige Politiker. Die gleichen Figuren lungern vor der mit Brettern
vernagelten Tankstelle herum, stolz auf ihre Unbezähmbarkeit, ihre traurige
Berühmtheit. Ihr Scheitern tragen sie wie ein Ehrenzeichen, Generation um
Generation, Eltern und Kinder. Jeder weiß, was sie treiben; man kann, wenn man
will, bei der Polizei anrufen und mit einem gelangweilt klingenden jungen Mann
sprechen, und vielleicht rollt dann eine Stunde später ein Streifenwagen
vorbei, die Jugendlichen zerstreuen sich, bis er wieder weg ist, oder sie formieren
sich vor dem Einkaufszentrum oder im Park neu. Aber nichts ändert sich, und
niemand macht sich groß Sorgen, solange »das Problem« dort bleibt, wo es ist:
in den Slums.
Auf dem Rückweg macht Pater Green heute noch an der Mariengrotte
halt. Früher war dieser Winkel, egal, welche Schrecken ringsum tobten, stets
unberührt geblieben. Jetzt sind die Gläubigen zu alt und gebrechlich, um die
Grotte instand zu halten; die Farbe der Gipsfigur ist mit der Zeit
ausgebleicht, sodass ihre heitere Ruhe zu Erschöpfung, ihre segnende Gebärde
zu einem Achselzucken geworden ist. Über das Gitter hinweg fischt er eine
Getränkedose heraus, Chipstüten, ein Kondom. Die Passanten werfen ihm
gleichgültige Blicke zu, wie einem Penner, der eine Mülltonne durchwühlt. Er
richtet sich mühsam wieder auf, wendet sich, einen Armvoll Unrat an sich
gedrückt, zur Straße zurück und sieht sich nach einem Abfalleimer um - da tritt
ihm ein Mann in den Weg ...
Ein Schwarzer, Mitte vierzig etwa, glänzende Haut, muskulös, das Negativ der
schlaffen, bleichen Leute von hier. In Pater Green dreht sich eine Uhr in
Lichtgeschwindigkeit zurück, und auch die gelblich getönten Augen des Mannes
verraten ein Wiedererkennen; er hebt die Hände, riesig, tierhaft -
Sanft strecken sie sich ihm entgegen und nehmen ihm die
Last ab. Danke, Pater.
Gewiss doch, flüstert Pater Green, als der Mann mit den
Abfällen wieder hineingeht. Durch die Tür sind Drehständer und schattenhafte
Gesichter zu sehen: ein Laden, ein neuer Laden, wie es scheint.
Zurück in der Schule, zittert er noch immer. Beim
Abendessen im Wohnbereich der Patres brennt er darauf, über die Begegnung zu
sprechen: Er wartet, bis sich die Unterhaltung wie so oft der Vergangenheit
zuwendet, damit er das Thema ganz beiläufig anschneiden kann. Übrigens, sagt
er, als es so weit ist, und es klingt laut und falsch in seinen Ohren, übrigens
ist mir bei meinen Hausbesuchen heute in St. Patrick's Villas aufgefallen, wie
viele Afrikaner man jetzt in der Gegend sieht. Einige dem Aussehen nach in
einem Alter, dass sie noch bei mir in die Missionsschule gegangen sein könnten!
Gespannt wartet er auf die Reaktion seiner Kollegen.
Ich kann einfach nicht verstehen, warum in aller Welt
jemand aus Afrika weggeht, um hierherzukommen, sagt Pater Zmed. Weg aus der
schönen Sonne, um in einem Slum zu leben.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, antwortet Pater
Crookes. Der Zivilisation. Die lesen in ihren Schulbüchern davon, und dann
wollen sie's natürlich selbst sehen.
Also sind wir schuld, sagt Pater Dundon düster.
Was ich damit sagen will - Pater Green versucht das
Gespräch zu seinem Ausgangspunkt zurückzulenken -: Haltet ihr es für möglich,
dass es unsere Schüler von damals rein zufällig nach Seabrook verschlagen haben
könnte? Wäre das nicht... wäre das nicht wunderbar?
Pater Zmeds glitzernder Silberblick fixiert ihn über
den Tisch hinweg. Was geht in ihm vor?
Ich würde sagen, die meisten von ihnen dürften
inzwischen tot sein, Jerome, sagt Pater Crook beim Nachtisch mit vollem Mund.
Weißt du, was für eine durchschnittliche Lebenserwartung
Weitere Kostenlose Bücher