Murray,Paul
theoretisch möglich«, antwortet Ruprecht.
»Ist es auch theoretisch möglich, dass du dir was
einfallen lässt, was ihm konkret helfen könnte?«
»Zum Beispiel?«
»Keine Ahnung, so was wie einen Todesstrahl, mit dem er
Carl killen kann.«
»Gewalt war noch nie eine Lösung«, erklärt Ruprecht salbungsvoll.
»Gewalt ist immer eine Lösung, du Blödmann, schau dir
doch die Weltgeschichte an. Egal, worum's geht, erst wird eine Zeit lang
rumgepfuscht, dann kommt Gewalt ins Spiel. Dafür brauchen sie doch die
Wissenschaft - um die Gewalt noch gewaltsamer zu machen.«
»Mir scheint, dein Geschichtsverständnis bewegt sich
auf einem ähnlichen Niveau wie deine Fagottkünste«, versetzt Ruprecht.
»Schieb's dir in den Arsch, Ruprecht, und deine
schwachsinnige Theorie gleich mit.« Dennis lehnt sich verdrossen zurück. »Die
Wahrheit ist doch: Skippy wäre in einem Paralleluniversum immer noch ein Loser.
Wir wären alle immer noch Loser, sogar in einem Universum von winzigen
Girlieameisen.«
Im Flur stehen einige der Schwimmer vor dem Schwarzen
Brett. »Hey!, Juster! Schau dir das an!«, ruft Antony Taylor.
Der Trainer hat die Mannschaftsliste für den Wettkampf
ausgehängt. Dein Name steht an vorletzter Stelle.
»Ich fass es nicht, dass der dich aufgestellt hat«,
sagt Siddharta Niland. »Da könnte er doch genauso gut einen Scheißziegelstein
ins Wasser schmeißen.«
»Wehe, du versaust es uns, Juster«, sagt Duane Grehan.
»Wie kommt der dazu, dich aufzustellen?« Siddharta
schüttelt den Kopf. »Das ist doch völlig hirnrissig.«
Oben rufst du Dad an und teilst ihm die Neuigkeit mit.
»Das ist ja super, Buddy!«, krächzt Dads Stimme wie von weit her.
»Meinst du, du kannst kommen?«
»Das hoffe ich doch, Sportsfreund, das hoffe ich sehr.«
»Was sagt Dr. Gulbenkian?«
»Was Dr. Gulbenkian sagt?«
»Wollte der nicht vorbeischauen?«
»Ach, ja - äh, das Übliche, du weißt schon. Kennst ihn
ja. Hör zu, D, hier ist die Hölle los, ich muss Schluss machen. Aber das ist
eine Superneuigkeit, Kumpel, eine Superneuigkeit. Das wird uns richtig
aufmöbeln!«
Du legst auf, gehst zum Fenster und schaust durch das
Fernrohr. Und die toten Plastikaugen der Schwimmbrille an der Tür schauen dir
beim Schauen zu.
Du weißt nicht, warum der Trainer dich aufgestellt hat.
Du schwimmst die schlechtesten Zeiten im ganzen Team. Du bist nicht nur langsam
- beim Schwimmen ist es jetzt auch immer, als würde diese geheime Strömung nur
auf dich warten; und während die anderen schnurgerade und kraftvoll dem Ziel
entgegenstreben, während der Trainer in die Hände klatscht und sie anfeuert,
zieht es dich weg, zu einem unsichtbaren Ort am Grund, einer dunklen Tür,
hinter der ein Raum ist, den du, während du hinabtauchst, beinahe wiedererkennst ... und wie im Traum, wenn du merkst, dass er in einen
Albtraum umgeschlagen ist, fängst du an durchzudrehen, du fuchtelst und
strampelst, aber dadurch ziehen dich die dunklen Magnete nur noch stärker an,
bis es allen Ernstes scheint, als müsstest du ertrinken, dort in den Untiefen
des Schulschwimmbeckens. Erst im letzten Moment springt wieder etwas an, und du
beginnst dich zu wehren, du kämpfst dich an die Oberfläche und kraulst, so
schnell du kannst, zum Rand, Wieder mal Letzter, Daniel, und hinter dir verschwindet es wieder, sinkt zurück ins unschuldige
Blau, wartet auf das nächste Mal ...
Sie ist nicht draußen. Du trittst vom Fernglas ins
Zimmer zurück. Auf dem Kalender glüht rot das X für den Wettkampf. Auf der
Kommode rufen die Tabletten nach dir. Tief durchatmen, Skip. Vergiss nicht, was
der Trainer gesagt hat: Bis dahin kann noch viel passieren. Ein Schwimmass
fängt in Seabrook an und kickt dich aus der Mannschaft. Du bleibst in einem
Aufzug stecken, du brichst dir den Arm. Oder Schlimmeres.
Aber jetzt erst mal wieder zum Unterricht - endlose
Einöden von Grammatik und Regeln und Fakten; einen Blick auf das ferne Leben,
auf das dies alles vorbereiten soll, erhascht man durch die Fenster von
Leseverständnistexten, Wirtschaftslernspielen und Vokabellernspielen -
»Guten Morgen, ich möchte ein neues Fahrrad kaufen.«
»Gewiss, Sir, was für ein Fahrrad suchen Sie? Eines für
den täglichen Gebrauch?«
»Ich will damit zur Arbeit fahren. Ich suche nach etwas, das haltbar, tragbar und nicht zu teuer ist.
Können Sie mir zeigen, was
Sie da haben?«
-, und es erscheint kaum weniger trostlos als die
Vorbereitung darauf. Außerdem ist da der unheilvolle Einfluss
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