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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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zerknirscht den Kopf und murmelt
irgendetwas.
    »Warum tust du nicht, was du
sagst? Du musst an so etwas denken, Howard, du
hast Pflichten, du kannst nicht in deiner eigenen kleinen Welt herumschweben,
in deine Kriegsbücher vertieft, und davon träumen, dass du gegen die Nazis
kämpfst -«
    »Die Deutschen«, sagt Howard zum Boden hin.
    »Was?«
    »Die Nazis sind Zweiter Weltkrieg. Ich befasse mich mit
dem Ersten.«
    »Ja, um Himmels willen - hörst du mir überhaupt zu? Ist
dir überhaupt bewusst, dass du hier ein Leben hast? Bin ich nur ein Gespenst,
das dich bei deiner Lektüre stört? Du musst verdammt noch mal Verantwortung
übernehmen, Howard, du musst dich öffnen für die Menschen um dich herum, die
sich auf dich verlassen! Auch wenn du's langweilig findest - es ist trotzdem
dein Leben!«
    Sie gibt es ihm, die volle Ladung, den ganzen Frust,
der sich in den letzten Wochen und auch schon davor aufgestaut hat. Howard
hört schweigend zu, mit hängenden Schultern, die Augen verdreht, als hätte er
Bauchschmerzen, und je mehr sie schimpft, in desto hoffnungslosere Falten legt
sich seine Stirn, ein Ausdruck irgendwo zwischen Verblüffung und Qual, und
desto tiefer krümmt er sich, sodass sie sich schon fragt, ob ihm schlecht wird,
doch da setzt er sich plötzlich auf die Armlehne des Sessels und sagt, wie zu
sich selbst: »Ich kann das nicht mehr.«
    »Was?«, fragt Halley.
    »Es tut mir so leid«, sagt Howard mit erstickter
Stimme.
    Auf einer vorbewussten Ebene scheint sie zu wissen, was
jetzt kommt, denn sie fühlt sich schon jetzt, als hätte sie einen Schlag in die
Magengrube erhalten: In ihrer Lunge ist keine Luft mehr, und sie fühlt sich
außerstande, neue Luft einzuatmen. Nicht jetzt, denkt sie, nicht jetzt! Aber
als Nächstes redet er irgendetwas von Robert Graves und Halloween, von »Wild
Horses« und Erderwärmung, von einer Aushilfslehrerin für Geografie, die
Cosmopolitans trinkt - es geht wie ein Regen auf Halley nieder, und noch ehe
sie den Sinn des Ganzen erfassen kann, ist schon alles Blut aus ihrem Gesicht
gewichen, ihre Finger kribbeln ...
    Und etwas in ihr denkt an Feminismus! Etwas in ihr
denkt an all die Frauen, die für ihre Rechte gekämpft haben, und sie schämt
sich dafür, diese Frauen enttäuscht zu haben, denn während die Geschichte
seines Verrats wie ein Film vor ihr abläuft, spürt sie nur ein grauenvolles
Zerfließen, als hätte sie sich buchstäblich aufgelöst und über den ganzen
Boden ergossen. Er sagt, er wisse nicht, was er fühle, er wisse nicht, was er wolle - und alles,
was sie will, ist nur, dass er sie aufwischt und wieder zu der
macht, die sie war; sie möchte flehen und betteln und weinen, damit er
zurücknimmt, was er gerade gesagt hat, sie in die Arme schließt, ihr sagt, dass
sich nichts verändert hat, dass alles in Ordnung ist. Doch das geschieht
natürlich nicht.
     
    Am Morgen nach Carls Attacke ist Skippys Schläfe zu
einer schaurigen rotvioletten Blume erblüht. Manche Blutergüsse trägst du wie
Ehrenzeichen: Hast du sie dir beim Rugbyspielen, bei einem Quadrennen oder bei
einem Sturz im Vollrausch zugezogen, lässt du keine Gelegenheit aus, mit einer
solchen Trophäe zu renommieren. Ganz anders verhält es sich jedoch mit einem
Bluterguss, den dir jemand anderer beigebracht hat: Er ist wie ein großer
blinkender Pfeil, der dich als leichtes Opfer kennzeichnet, und schon bald
stehen die Jungen Schlange, um weitere blaue Flecke hinzuzufügen, als hätten
sie nur darauf gewartet, auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht zu werden. An
einem einzigen Vormittag bekommt Skippy so viel Saures, dass es für eine ganze
Woche reicht: Türen werden ihm ins Gesicht geknallt, auf dem Flur werden ihm
Beine gestellt, und zu allem Überfluss brummt ihm Ms. Ni Riain auch noch eine
Strafarbeit auf, weil er zu spät zum Unterricht gekommen ist: einen
dreiseitigen Aufsatz über die gälischen Wurzeln des Namens Seabrook. Mittags ist Skippy dann so down, dass er nicht einmal mehr etwas essen
will; während die anderen in den Speisesaal gehen, trottet er allein davon.
    »Armes Schwein«, sagt Niall. »Den hat's bös erwischt.«
    »Wieso, der Schlag auf den Kopf war doch das Beste, was
ihm passieren konnte«, wendet Dennis ein, während er sein Tablett zum Tisch trägt.
»Vielleicht rafft er jetzt, was für eine bescheuerte Idee die ganze Chose mit
dem Frisbeemädchen war. Und wir müssen uns diesen schwulen Bethani-Song nicht
mehr anhören.«
    »An irgendwas erinnert mich der

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