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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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amüsiert. Von ferne hörte er das Gelächter der
Mädchen wie das Zwitschern von Waldvögeln und wurde glühendrot vor Scham; zu
guter Letzt demaskiert, bloßgestellt, als das erkannt, was er in Wahrheit
war.
    »Springt
heute Abend überhaupt noch wer?« Guido fasste das Ganze offenbar als
persönliche Beleidigung auf. »Oder soll ich euch lieber alle schön zurück nach
Hause zu Mami bringen?«
    »Jetzt reg
dich ab, Mann.« Tom hatte sich den Gurt umgeschnallt, trat vor und sah ins
Leere. »Alles klar?« Guido nickte. »Gut«, sagte Tom knapp und stürzte sich von
der Kante.
    Die
anderen verfolgten vornübergebeugt seinen Weg nach unten; binnen Sekunden war
sein muskulöser Körper zu einem kleinen Spielzeug geschrumpft, das ohne ins
Trudeln zu geraten senkrecht durch die Luft in die Tiefe flog und mit einem
dumpfen Schlag am Boden aufkam.
    Einen
Moment lang reagierte keiner von ihnen; sie reckten nur weiter die Hälse über
den Abgrund, starrten hinunter auf den winzigen, reglosen Klecks Farbe tief
unter ihnen. Dann bewegten sich Guidos Lippen, tonlos. »Oh Scheiße.« Und eines
der Mädchen, die immer noch am Waldsaum standen, begann zu schreien.
     
    Elf Jahre
später, zwei Stunden nach seiner letzten Unterrichtsstunde, geistert Howard
immer noch in der Schule herum. Zuerst nimmt er an einer Besprechung über das
bevorstehende Gedenkkonzert für Pater Desmond Furlong teil, zu der er
hauptsächlich zustimmendes Nicken und vieldeutiges Räuspern beisteuert; dann
setzt er sich ins Lehrerzimmer und nutzt die Stille für die Korrektur einer
Klassenarbeit über das Landreformgesetz, unter Anfügung von akribischen
Einzelbewertungen und Ratschlägen für künftige Referate. Danach macht er sich
an die Ausarbeitung möglicher Fragestellungen für die Zwischenprüfungen der
zehnten Klasse, bis die Putzfrau ihm den Staubsauger demonstrativ unter die
Füße schiebt, er sich geschlagen geben muss und zur Tür hinausschleicht.
    Es ist
Freitag, und Farley schickt in regelmäßigen Abständen SMS aus dem Ferry, die
Howard bisher ignoriert hat; Tom wird mit Sicherheit auch da sein, und ihm
möchte er an diesem Tag lieber aus dem Weg gehen. Doch als er vor seinem Auto
steht, kommt ihm selbst die Aussicht, zu Brei zerstampft zu werden, reizvoller
vor als ein weiterer einsamer Abend zu Hause. Vielleicht kann er sich ja in
eine Ecke verdrücken, wo ihn keiner sieht? Einen Versuch ist es wert. Er steckt
den Schlüssel wieder ein und macht sich auf den Weg zu der Kneipe.
    Es ist
nach sechs, und die meisten seiner Kollegen sind, um es mit ihren Worten zu
sagen, schon »voll im Öl«. Zu Howards Verdruss unterhält sich Farley mit Tom;
beide sind auffällig rotgesichtig und lachen zu laut. Er grüßt sie kurz und
begibt sich ins Nebenzimmer, wo sich ein Grüppchen um Finian Ö Dälaigh, den
wiederhergestellten Geografielehrer, geschart hat, der sich offenbar schon
eine ganze Weile über die Scheißer im Erziehungsministerium ereifert: »Diese
Scheißer, hocken den ganzen Tag in ihren schnieken Büros und spielen Schiffe
versenken, ich möchte mal sehen, wie die vierhundert Wahnsinnige, die auf
einem Kiesplatz herumrennen, in Schach halten wollen ...«
    »Wasserstoffbombe.«
Mit einem Mal steht Farley neben Howard. »Wieso bist du nicht nähergekommen?«
    »Du hast
dich unterhalten, mit ...« Howards Kopf weist verstohlen über sein Glas hinweg
Richtung Tom, der mit dem Rücken zu ihnen an der Bar lehnt.
    »Na und?«,
sagt Farley. »Er wird dich ja wohl nicht beißen, oder?«
    Howard
starrt ihn an. »Woher willst du das wissen? Ist dir klar, was heute für ein Tag
ist?«
    »Freitag?«
    »Es ist
der Jahrestag, du
Witzbold, der Jahrestag des Unfalls. Heute vor elf Jahren.«
    »Ach, um
-« Farley macht eine wegwerfende Handbewegung. »Howard, ich schwör's dir, kein
Mensch außer dir denkt da noch dran. Vergiss es, um Himmels willen. Du hast
genug andere Sorgen.« Er leert sein Glas und stellt es neben sich auf einen
Sims. »Ah, perfektes Timing«, bemerkt er, als Tom sich zu ihnen gesellt und ihm
Nachschub in die Hand drückt.
    »Tschuldige,
Howard«, sagt er, »für dich auch noch ein Bier?«
    »Ich hab
noch«, murmelt Howard.
    »Das ist
doch so gut wie leer - entschuldigt mich kurz.« Tom schnappt sich das
Barmädchen und bestellt ein weiteres Bier. Das ist der erste Drink, den er ihm
je spendiert hat; Howards Augenbrauen wandern ungläubig in die Höhe. Farley
antwortet mit einem Schulterzucken. Vielleicht hat er ja recht, denkt

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