Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
Vom Netzwerk:
er selbst. Rings um ihn her glitzern
die dunklen, mit Raureif überzogenen Spielfelder im Schatten der Lorbeerbäume;
die Silhouette des Turms ragt wie ein Relikt aus der Vergangenheit über dem
Fleckchen Schulhof empor. Er öffnet die Autotür und verweilt noch einen
Augenblick in dem strengen Glanz des vom Mondlicht beschienenen Schulgeländes,
bevor er den Zündschlüssel umdreht.
    Und dann
hat er mit einem Mal einen Jungen vor dem Wagen. Wie aus dem Nichts taucht er
als Leuchtblitz im Scheinwerferlicht auf - Howard reißt das Steuer herum,
verfehlt ihn um Haaresbreite, rumpelt über den Randstein und auf den
gepflegten Rasen, der den Wohntrakt der Patres umgibt; sitzt halb aufgebockt in
dem kalten Auto, spürt das Blut in seinen Ohren rauschen, versucht zu
begreifen, was passiert ist. Dann macht er den Motor aus und steigt aus dem
Wagen. Nicht zu fassen - ihn packt die Wut: läuft der Kerl doch seelenruhig
weiter die Allee entlang.
    »Hey!«
    Die
Gestalt dreht sich um. »Ja, du! Komm zurück!«
    Widerwillig
macht der Junge kehrt. Im Näherkommen enthüllt sich ein weißes, schmales
Gesicht. »Juster?«, fragt Howard ungläubig. »Himmelherrgott, Juster, was zum
Teufel sollte das denn? Ich hätte dich beinahe voll erwischt.«
    Der Junge
sieht unsicher zu ihm und dann zu dem ins Gras gesetzten Wagen hin, als
erwarte man von ihm, ein Rätsel zu lösen.
    »Ich hab
dich grade mal um so viel verfehlt«,
schreit Howard und verdeutlicht es mit Daumen und Zeigefinger. »Bist du lebensmüde?«
    »Tut mir
leid«, sagt der Junge mechanisch.
    Howard
beißt die Zähne zusammen, damit ihm kein Kraftausdruck entweicht. »Es hätte dir
noch viel, viel mehr leid getan, wenn ich dich überfahren hätte. Wo zum Kuckuck
kommst du überhaupt her? Warum bist du nicht im Studiersaal?«
    »Es ist
Freitag«, sagt der Junge mit der gleichen, zur Weißglut reizenden monotonen
Stimme.
    »Hast du
Ausgangserlaubnis?«, fragt Howard - und traut seinen Augen nicht: Der Junge
hat eine weiße Frisbeescheibe in der Hand. »Und was hast du damit vor?«
    Der Junge
sieht ihn verständnislos an, folgt dann mit dem Blick Howards Finger, der auf
die Plastikscheibe in seiner Hand zeigt; ihr Vorhandensein scheint ihn zu
überraschen. »Oh - äh, ich wollte Frisbee spielen.«
    »Mit wem?«
    »Ähm ...«,
der Junge blickt suchend auf den Asphalt und fasst sich an den Kopf. »Bloß so
für mich.«
    »Bloß so
für dich«, wiederholt Howard sarkastisch. Greg hat recht gehabt, mit dem Jungen
stimmt etwas nicht, ganz und gar nicht. Irgendwer muss ihm mal gründlich den
Kopf zurechtrücken. »Kommt dir das nicht ein bisschen seltsam vor, im Dunkeln
mutterseeleinallein Frisbee zu spielen?«
    Der Junge
gibt keine Antwort.
    »Verstehst
du nicht -«, Howard wird von Sekunde zu Sekunde gereizter,»- dass man Dinge
richtig und falsch angehen kann? Du lebst in einer Gemeinschaft, in der
Gemeinschaft dieser Schule, du bist keine Insel, du kannst nicht einfach tun
und lassen, was du willst. Obwohl, das sag ich dir, wenn du eine Insel sein
willst, so ein verschrobener Einsiedlerkrebs, an dem das Leben vorbeigeht,
dann bist du auf dem besten Weg dazu. Mach nur so weiter, dann dauert es nicht
mehr lange, bis die Leute die Straßenseite wechseln, wenn sie dich kommen
sehen. Ist es das, was du willst?«
    Der Junge
sagt noch immer nichts, verkriecht sich nur in sich selbst, starrt weiter zu Boden,
als sähe ihm von dort sein Spiegelbild entgegen; in seine Atemzüge allerdings
mischt sich nun das charakteristische Schniefen, das Tränen ankündigt. Howard
verdreht die Augen. Ein ernstes Wort, und diese Jammerlappen heulen Rotz und
Wasser. Unmöglich, einfach unmöglich. Mit einem Mal fühlt er sich wie eine
schlappe Wurstpelle, als hätte ihn die Wirkung der kräffezehrenden
Achterbahnfahrt in dieser Woche erst jetzt mit voller Wucht getroffen.
    »Na gut,
Juster«, sagt er besänftigend. »Geh rein. Mach dir ein schönes Wochenende. Und
wenn du Frisbee spielen willst, dann such dir um Himmels willen jemanden zum
Mitspielen. Ganz im Ernst, du kannst einen ja zu Tode erschrecken.« Er geht zu
seinem Wagen zurück und öffnet die Fahrertür. Juster jedoch bleibt mit
gesenktem Kopf stocksteif stehen und lässt das Frisbee wie den Hut eines
Varietekünstlers durch seine Finger gleiten. Howard spürt leise Gewissensbisse.
Hat er ihn zu hart angefasst? Schon halb im Wagen, zermartert er sich das Hirn
auf der Suche nach einer neutralen Bemerkung zum Abschied. »Und viel Glück

Weitere Kostenlose Bücher