Murray,Paul
Howard,
vielleicht bin ich tatsächlich der Einzige, der von der Vergangenheit nicht
loskommt und den Kalender anstarrt wie das Kaninchen die Schlange. Tom ist
heute Abend definitiv in besserer Verfassung als sonst in letzter Zeit -
entspannt und jovial, wenn auch nicht gerade nüchtern. Howard ist es, der steif
und reserviert bleibt, nicht gegen seine Unruhe ankommt; fast schon dankbar
registriert er, dass Jim Slattery sich gemächlich nähert.
»Hab
neulich an Sie denken müssen, als ich >Dulce et decorum est< mit der
Zehnten durchgenommen habe. Sie erinnern sich bestimmt noch, Wilfried Owen ...?«
Er legt den Kopf in den Nacken, wie der Verkünder eines Orakels: »Verschwommen durchs beschlagne Glas / Licht so grün
und dick / Wie unter einem grünen Meer: / So sah ich ihn ertrinkend ... Da
kann Graves nicht so leicht mithalten, hm? Ertrinkend, auf staubtrockener
Erde. Was für ein erstaunliches Bild. Senfgas«, fügt er als Erklärung für die
anderen an. »Hat Hitler im Ersten Weltkrieg fertiggemacht, den Dreckskerl allerdings
nicht ein für alle Mal erledigt.«
»Aha«,
sagt Farley.
»Ist
übrigens einer Lehrerin gewidmet, dieses Gedicht von Owen. Jessie Pope hieß
sie, hat jede Menge hurrapatriotische Knittelverse verbrochen, die den
Jüngelchen Mut machen sollten, einzurücken und sich in Stücke schießen zu
lassen. >Wer steht bereit?< und ähnlichen Stuss.« Er seufzt in sein
Gingerale. »Kein Wunder, dass die Jungs heutzutage nicht mehr auf ihre Lehrer
hören.«
»Mittlerweile
wäre dergleichen undenkbar«, stimmt Howard mit sarkastischem Unterton zu.
»Da fällt
mir etwas ein. Sie haben mir doch neulich erzählt, dass einer Ihrer Schüler mit
einem Vorfahren angekommen ist, der im Krieg gekämpft hat. Daraus ließe sich
doch ein hochinteressantes Referatsthema machen - herauszufinden, was ihre Altvordern
während des Kriegs so gemacht haben, meine ich.«
»Ja,
schon«, sagt Howard unverbindlich.
»Die Jungs
müssten sich natürlich schwer ins Zeug legen, wenn sie irgendwas Wesentliches zutage
fördern wollen; vom Krieg zu erzählen, war in Irland nie groß in Mode, das
wissen Sie ja selber. Aber das hier ist vermutlich die erste Generation, die
überhaupt imstande wäre, da Nachforschungen anzustellen - das heißt, es wäre in
jeder Hinsicht bahnbrechend.«
»Klingt
auf jeden Fall interessant«, sagt Howard. Und ist es womöglich auch; aber in
seiner zwiefachen Vereinsamung während der letzten Tage hat er sich
schwergetan, für irgendetwas Begeisterung aufzubringen - das gilt selbst für
den Unterricht, der ihm in letzter Zeit so viel Freude gemacht hat.
»War nur
so ein Gedanke«, sagt der Ältere. »Sie haben sicher selbst jede Menge um die
Ohren.« Er schaut auf seine Armbanduhr. »Heiliges Kanonenrohr - ich seh lieber
zu, dass ich nach Hause komme, sonst droht mir das Erschießungskommando. Viel
Glück, Howard.« Er pocht auf den Griff seiner Aktentasche, was den beiden
anderen gilt: »Bis Montag, die Herren.«
Trübsinnig
wendet sich Howard wieder Farley und Tom zu, die in eine Diskussion über die
Aussichten der Juniorschwimmmannschaft bei dem morgigen Wettkampf in
Ballinasloe vertieft sind. Tom wird von Minute zu Minute betrunkener,
gestikuliert so ausladend, dass er irgendwann Peter Fletcher, der hinter ihm
steht, glatt das Glas aus der Hand schlägt, das wie durch ein Wunder heil
bleibt, wovon Tom allerdings nicht das Geringste mitbekommt; er monologisiert
stur weiter, während Fletcher sich gleichmütig zur Bar verzieht. Howard
beschließt, sich ihm anzuschließen; er will nicht mit Tom allein bleiben, falls
Farley sich von ihnen weglocken lässt.
Er kämpft
sich durch die Menge der glänzenden Freitagsgesichter und ihr beduseltes
Geschwätz, das sich ewig im Kreis dreht. Es liegt nicht nur an Tom: Seit Halley
fort ist, fallen ihm all diese Kontakte, die zahllosen kleinen Begegnungen und
Gespräche, aus denen sich jeder Tag zusammensetzt, unendlich schwer. Ständig
sagt er das Falsche, versteht falsch, was andere sagen; als sei die Welt einen
Tick anders geeicht und er dauerhaft falsch ausgerichtet. In dem Zustand wäre
er in seinem leeren Haus letztlich wohl doch besser aufgehoben. Er spendiert
Farley und Tom einen Drink und verabschiedet sich mit dem Vorwand, dass er noch
fahren muss, wobei er mit zwei Bier ohnehin schon weit über der Grenze liegt.
Nach dem
überfüllten Pub tut die klare Nachtluft draußen gut. Auf dem Weg zurück zur
Schule fühlt er sich schon wieder mehr wie
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