Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
dumpf, »wenn man darüber nachdenkt, ist der Krieg eine furchtbare Sache. Deswegen mag es besser sein, nicht zu viel darüber nachzugrübeln. Aber solche Dinge sollte ich eigentlich nicht sagen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil viele Menschen es nicht verstehen würden. Der Krieg war immer dabei, hat die Welt und die Staaten geformt und sie zu dem gemacht, was sie sind. Wir alle wurden mit dem Gedanken erzogen, Krieg sei eine absolute Notwendigkeit. Auf diese Weise hinterfragen wir nicht zu sehr das ›Warum‹ der Dinge. Doch mein Bruder ist Chirurg. Was er in seinem Lazarett erlebt, ist der wahre Kern des Krieges, das menschliche Leid. Ich für meinen Teil denke, dass bereits zu viele Opfer gebracht wurden.«
    Ich hörte zu, wobei ich mit der Spitze meines Reitstiefels kleine Kreise in den weißen Staub zog.
    »Haben Sie mit Gaetano darüber gesprochen?«
    »Ja, sehr oft. Er denkt wie ich, das ist es ja, was uns verbindet. Doch solche Gedanken sollten nicht in fremde Ohren kommen. Es könnte gefährlich sein.«
    Ich spielte mit meiner Reitgerte.
    »Trauen Sie nicht jedem?«
    »Nicht jedem, nein.«
    »Warum mir also?«
    Ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. »Vielleicht, weil Sie anders sind?«
    »Inwiefern bin ich anders?«
    »Vielleicht haben Sie das, was wir in meiner Heimat ein ›verständnisvolles Herz‹ nennen?«
    Ich rollte eine Haarsträhne um meinen Finger.
    »Ach, ich weiß nicht! Ich sage oft Dinge, die unschicklich sind. Meine Eltern weisen mich zurecht, weil ich zu viel rede. Und Sie trauen mir zu, dass ich schweigen kann?«
    Er schüttelte leicht den Kopf; das Lächeln war nicht von seinen Lippen gewichen.
    »Sie wissen genau, über welche Dinge es zu schweigen gilt. Sie sind ein redlicher Mensch.«
    Ich sah ihn fast erschrocken an, verstohlen. Wie kam es nur, dass er mein wahres Wesen so schnell erkannt hatte? Und obwohl seine Worte mich froh machten, sagte ich bitter:
    »Ich denke, wir Frauen verabscheuen den Krieg.«
    Er nickte.
    »Auch wenn Frauen seltener als Männer ihr Leben auf dem Schlachtfeld gefährden, werden sie in ihrem Herzen verwundet. Und es sind Wunden, die niemals heilen.«
    Ich seufzte tief auf.
    »Sterben wir auch an diesen Wunden?«
    »Ja«, antworte er, kaum hörbar, »das kommt vor. «
    Wir standen auf, denn wir hatten schon zu viel gesagt, und machten uns langsam auf den Weg. Die Hufe der Pferde schlugen auf die Pflastersteine; es war fast das einzige Geräusch, das durch die verlassenen Straßen hallte.
    Wir verließen die Ortschaft, die in der Mittagshitze döste, verlassen und versunken in der Wahrung einer Geschichte, die sich langsam vollzog. Die alten Steine würden uns vergessen, so wie sie die vielen Menschen vergaßen, die hier gelebt und gelitten hatten. Wer waren wir denn, wenn nicht Schemen, die über Gefühle sprachen?
    Vor der Mauer traten wir schweigend den Heimweg an. Es war eine Befangenheit zwischen uns, die wir beide spürten und die in unseren Herzen mitschwang. In Gedanken versunken, geblendet von der Sonne, sah ich nicht die kleine, graue Natter, die sich vor dem Schatten des Pferdes rasch verdrückte. Doch Flower sah sie, wieherte erschrocken und scheute mit einem heftigen Ruck. Die Natter ringelte sich zischend zusammen. Ich hielt mich im Sattel, fasste die Zügel straffer, doch Flower bäumte sich mit blitzenden Hufen hoch auf. Der kräftige Hals wurde an den Zügeln, die ich fest in den Händen hielt, zurückgerissen. Flower zuckte wie in einem Krampf zusammen, sprang vom Weg ab; hier war die Böschung steil. Flower kippte seitwärts, kämpfte um ihr Gleichgewicht. Ich verlor die Steigbügel und wurde aus dem Sattel geschleudert. Der Boden sauste mir entgegen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf explodierte. Dann wurde alles dunkel und still.

26. Kapitel
    D urch meine Benommenheit kreisten Bilder des Traums, der Phantasie und des Fiebers. Ich spürte Nässe auf meinem Gesicht; kühle Hände streichelten meine Wangen. Dann fühlte ich mich hochgehoben, und der Rand einer Feldflasche drückte an meine Lippen.
    »Trink«, sagte eine Stimme. »Langsam ...«
    Ich schluckte Wasser, das nach Eisen schmeckte. Blut ..., dachte ich. Warum Blut? Ich verschluckte mich, hustete. Mein Blick klärte sich. Ich lag auf einer Decke im Schatten. Arme, an die ich mich fast ohne es zu merken klammerte, hielten mich fest.
    »Was ... was war mit mir?«
    »Dein Pferd hat gescheut. Eine Schlange.«
    Ich hörte einen warmen, etwas schleppenden Akzent und

Weitere Kostenlose Bücher