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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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erkannte den Menschen, der zu mir sprach.
    »Saburo...«
    »Ja«, sagte er. »Bleib ruhig liegen, es geht gleich vorbei.«
    Er hielt mich fest in den Armen. Ich hatte Schmerzen im Kopf, eine Dumpfheit in den Ohren.
    »Bin ich verletzt?«
    »Du bist gegen einen Stein geschlagen. Hier, spürst du es?«
    Seine Hand nahm meine Hand, führte sie behutsam an meiner Schläfe entlang. Ich spürte eine Schwellung unter meinem Haar, die sehr weh tat.
    »Blute ich?«
    »Kaum«, sagte er. »Bewege dich ein wenig, aber vorsichtig. Hast du sonst wo Schmerzen? Im Rücken? An den Hüften?« »An der Schulter.«
    »Versuche, den Arm zu heben. So ist’s gut! Nein, du hast nichts gebrochen.«
    »Wirklich nicht?«
    Er lächelte ein wenig.
    »Mein Bruder ist Arzt. Ich habe da ein bisschen Erfahrung...«
    »Warum blute ich denn im Mund?«
    »Du hast dir auf die Lippe gebissen, nichts Schlimmes.«
    Allmählich kam ich wieder zu mir. Meine Kleider waren unordentlich und staubig, und ich hatte am ganzen Körper Muskelschmerzen. Ich hielt mich an Saburo fest, versuchte mich aufzurichten.
    »Was hast du denn?«, fragte ich verwundert.
    »Nichts.«
    »Du zitterst ja!«
    »Ich hatte große Angst um dich.«
    Tränen schwammen mir plötzlich vor den Augen. Ich zwinkerte heftig.
    »Lass Gaetano nicht wissen, dass ich gestürzt bin! «
    »Wenn du es nicht wünscht, werde ich nicht davon sprechen. «
    »Wo sind die Pferde?«
    »Ich habe sie im Schatten angebunden.«
    »Ist Flower verletzt?«
    »Nein, ihr geht es gut. Ich habe sie beruhigen können. Noch etwas Wasser?«
    Er setzte die Flasche an meine Lippen. Ich spürte, wie durstig ich war, und trank gierig, bevor ich ihm die Flasche reichte. Er machte ein verneinendes Zeichen.
    »Das Wasser ist für dich.«
    »Bist du sicher, dass du keinen Durst hast?«
    »Ganz sicher«, erwiderte er.
    Wir neigten unsere Gesichter zueinander. Ich sah im Hell- Dunkel seine glänzenden Augen. Ganz langsam hob er die Hand, streichelte mein Haar, dann meine Wange. Ich sagte nichts, ließ ihn gewähren. Als seine Lippen leicht meinen Mund berührten, spürte ich noch immer, dass er zitterte. Der erste Kuss war zart, fast wie der Kuss eines Kindes. Einige Atemzüge lang bewegte er das Gesicht ganz langsam hin und her, streichelte mich mit seinem Atem. Wir sahen uns im Halbschatten an, und auf einmal schloss sich sein Mund um den meinen, rieb und drückte ihn, bis die kleine Wunde, die meine Zähne geschlagen hatten, wieder blutete. Als unsere Lippen sich endlich voneinander lösten, saßen wir eine Weile ganz still, die Gesichter aneinander geschmiegt. Er brach als Erster das Schweigen, mit leiser, gelassener Stimme.
    »Bevor ich dich küsste, wusste ich nicht, dass ich es tun würde. Aber hättest du mich zurückgewiesen, hätte ich es nie wieder versucht.«
    Ich sagte, ebenso leise:
    »Ich blute im Mund.«
    »Ja« erwiderte er, »ich schmecke es. «
    Ich öffnete die Lippen; er ließ seine Zunge in meinem Mund kreisen und trank mein Blut. Mein ganzer Körper, schmerzend und wund, drängte sich ihm entgegen. Ich spürte ein seltsames Pochen im Leib, ein Pochen, das ich bisher nur im Traum oder im Halbschlaf gefühlt hatte. Plötzlich zuckten wir beide zusammen. In der Ferne bellten Hunde. Das Gekläff kam näher; wir lagen ganz still, hielten den Atem an. Dann kehrte Ruhe ein. Die Hunde entfernten sich. Die große Hitze des Mittags flimmerte über die Felsen, doch in der Höhlung war es dämmrig und frisch wie am Boden eines Brunnens. Lange und schweigend sahen wir uns an, bevor ich die Arme hob, mein ganzes Gewicht an seinen Hals hängte und ihn zu mir herunterzog.
    Man hatte mir beigebracht, dass eine junge Dame aus gutem Hause gewisse Regeln nicht brechen, gewisse Grenzen nicht überschreiten darf. Tut sie es trotzdem, verliert sie ihren guten Ruf, weil die Männer es unter sich weitererzählen. Doch bei diesem Mann, der so anders war, anders sogar als Gaetano, fühlte ich mich auf geheimnisvolle Weise geborgen, wie eine Reisende, die nach mühsamer Wanderung endlich ihr Ziel erreicht. Ich spürte eine heiße, innere Freude, die mir Leichtigkeit verlieh. Und plötzlich wusste ich, dass er der Mensch war, auf den ich immer gewartet hatte, die Gestalt in mir, die ich in hundert Träumen gesehen hatte. Ich wusste, dass sich unter meinen Augen ein Wunder vollzogen hatte, und nahm im Voraus alles an, was mir widerfahren konnte. Und ich wusste – ohne dass wir ein Wort darüber verloren –, dass er meine Empfindung

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