Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Kater.
    »Katzen leben lange, das ist gut. Milo ist heute meine einzige Familie. Menschen, die Katzen nicht mögen, sollte man misstrauen. Katzen sehen die unsichtbare Welt. Sie sind heilige Tiere. Die alten Ägypter wussten das. «
    Fabio räusperte sich. Da ich keine Anstalten machte, aufzubrechen, setzte er sich wieder zu uns. Ich merkte ihm einige Verärgerung an, ganz leicht nur, aber echt. Ich sagte zu Decima:
    »Angenommen, wir könnten die Pinna nobilis züchten, wäre Nona dann in der Lage, Weberinnen zu unterrichten?«
    Sie hob bejahend die Hand, führte die Geste aber nicht aus, sondern ließ sie matt auf ihr Knie zurückfallen.
    »Sie spürt den Zeitdruck, Signorina. Ihr bleiben noch zwanzig Jahre. Ungefähr.«
    Ich starrte sie an.
    »Wie meinen Sie das?«
    Decimas Stimme klang unverändert ruhig.
    »Weil sie danach erblinden wird. Eine Degeneration der Netzhaut. Sie ist in unserer Familie erblich und trifft nur die Töchter.«
    »Das kann doch nicht sein!«, rief ich betroffen. »Heutzutage leistet doch die Augenchirurgie Beachtliches!«
    Die alte Frau schüttelte bedächtig den Kopf.
    »Glauben Sie, dass wir nicht schon alles versucht haben? Nein, nein, da ist nichts zu machen. Der Vorgang kann verzögert, nicht aber aufgehalten werden.«
    »Es tut mir leid«, sagte ich. Ich war sicher, dass sie die Wahrheit sprach, obwohl es sich kaum glaubhaft anhörte.
    »Deswegen bin ich ja so froh, dass Nona zwei Söhne hat«, fuhr Decima fort. »Seit Jahrhunderten wurden in der Familie nur Mädchen geboren. Die Erbfolge ist endlich unterbrochen, und wir wagen zu hoffen, dass Nonas Enkeltöchter von dem Übel befreit sein werden.«
    »Das macht Ihre Last kaum leichter«, sagte ich. »Sie ist schon schwer genug.«
    »Wir sind gewohnt, sie zu tragen.«
    Aufrecht saß sie da, beide Hände auf den Knien, und ich sah, dass in ihrem Antlitz alle Weisheit und aller Stolz versammelt waren. Es war ein Licht in ihrem Gesicht, ein Licht, das nicht von der trüben Beleuchtung von oben kam, das ich aber trotzdem als etwas Reales empfand. Nach einer Weile beugte sie sich vor. Sie hielt den Schal vor sich wie eine Opfergabe und legte ihn in meine Hände. Mit einem kleinen Seufzer richtete sie sich wieder auf, massierte ihren Rücken, als ob sie Schmerzen hätte. Und als sie sprach, klang ihre Stimme völlig sachlich.
    »Wissen Sie, wir haben sonst nie viele Krankheiten in der Familie gehabt. Und solange wir jung sind, denken wir nicht an das, was später kommt. Denn die Götter nehmen uns das Augenlicht nur, um uns auf andere Weise zu entschädigen. Unsere Augen erblinden, unser Geist aber sieht Dinge, die andere nicht sehen können, und alle werden wahr. Was Sie betrifft, Signorina, sehe ich sehr private, sehr besondere Dinge. Sie werden wundersame Ereignisse erleben. Doch mehr will ich dazu nicht sagen.«
    »Es tut mir leid, aber ich habe für diese Art von Esoterik wenig übrig«, sagte Fabio, als uns das Taxi eine halbe Stunde später nach Cagliari zurück brachte. »Zum Schluss hat sie ziemlichen Unsinn geredet, findest du nicht auch?«
    »Unsinn?«, erwiderte ich. »Den Eindruck hatte ich nicht. Und was sie über die Muschelseide sagte, war sehr aufschlussreich.«
    Fabio unterdrückte ein Gähnen.
    »Ja, das war der interessante Teil. Kannst du etwas damit anfangen?«
    »Ich muss mit Annabel sprechen«, sagte ich geistesabwesend.
    »Die Wiederaufnahme lokaler Traditionen ist zwar eine mühsame Angelegenheit, aber sie liegt im Trend. Und wenn Azur das Geld springen lässt, warum nicht? Aber was, wenn es an Rohmaterial fehlt? Du hast ja gehört, die Steckmuschel stirbt aus.«
    »Auf Gozo gibt es keine Industrien, die chemische Stoffe ins Meer schütten«, sagte ich. »Ich werde mal tauchen und nachsehen, ob ich noch Seegraswiesen finde.«
    »Vielleicht bringt es dich weiter.«
    »Ob es mich weiterbringt? Das kann ich nicht sagen. Ich bin nur neugierig.«
    »Neugier ist gesund.« Er lachte. »Möchtest du etwas essen?« »Etwas Warmes könnte ich schon vertragen.«
    Der Fahrer kannte ein Lokal in der Innenstadt, wo man angeblich gut aß. Fabio machte eine Geste, die bedeutete, dass er gewiss dort Prozente bekam. Ich zog die Schultern hoch.
    »Ist doch egal. Er soll uns hinfahren.«
    Ich hielt das Gesicht leicht abgewandt. Wir fuhren an der Küste vorbei. Bis zum fernen Ende des Himmels war das Meer mit Lichtern gesprenkelt. Ein fahler Mond ließ das Dunkel milchig leuchten. Ich versteifte mich, als Fabio meine Schulter

Weitere Kostenlose Bücher