Music from Big Pink: Roman (German Edition)
gut. Mrs. Robinson nahm ihren Ohrring ab, um zu telefonieren. Sie warf ihn auf einen Glastisch, und da war das Klirren von Metall auf Glas. Es klang, als passierte es direkt an meinem Ohr. Ich flüsterte Skye zu: »Klingt dieser Film nicht einfach irre?« Sie kicherte, nickte und nahm meine Hand.
Ben rauchte eine Zigarette, und sofort wollte ich auch eine. Ich zündete mir eine Camel an und beobachtete, wie die silbergraue Rauchfahne davonwehte, hinauf in die Dunkelheit über unseren Köpfen, zielstrebig auf diesen Lichtpunkt in der Decke zu, der mir wie der letzte Stern in einem pechschwarzen Himmel erschien.
Dann, ungefähr nach der Hälfte des Films, kam diese Bildmontage, die wieder mit »The Sound Of Silence« unterlegt war. Scheiße, Mann. Wenn ich mich vor einer halben Stunde gefreut hatte, wie gut die Nummer klang, dann dachte ich nun: »O Mann! Das ist der mit Abstand beste Song aller Zeiten. Das ist der coolste, abgefahrenste Film, der je gedreht wurde.«
Es folgte ein Schnitt nach dem anderen, der Song baute sich immer weiter auf (»And in the naked light I saw …«) , und dann war er vorbei und Ben war allein, trieb im Pool unter der kalifornischen Sonne. Ich konnte den Sonnenschein im Gesicht spüren und roch die Orangenhaine. Das Wasser im Pool glitzerte wie flüssige Juwelen, noch nie hatte ich so blaues Wasser gesehen. Es sah aus, als würde es sich gleich aus der Leinwand ergießen und die Gänge entlangfließen. Verdammt, ich hatte das Gefühl, als könnte ich das Chlor schmecken. Und jetzt blähten sich die roten Samtvorhänge neben der Leinwand auf und rollten sich wieder zusammen. Wie Feuersäulen wirbelten sie die Wände empor.
Ein paar Reihen von uns entfernt nieste ein Mann, und ich konnte sehen, wie die Wolke mikroskopisch kleiner Tröpfchen aus seiner Nase hervorbrach und wie ein Dampfgeschoss durchs Kino zischte.
Scheiße, Mann. Kein Haschöl dieser Welt war so gut.
Ich drehte mich zu Skye um. Ihre Augen waren bodenlose schwarze Brunnenschächte, ihre von dem Traubengetränk violett-blauen Lippen leuchteten in der Dunkelheit.
Sie sah mich an, sah meinen weit offenen Mund und den verwirrten Gesichtsausdruck, beugte sich dann lächelnd nach vorn und flüsterte in mein Ohr: »Ich habe etwas flüssiges LSD in die Slush Puppies getropft.«
O Scheiße.
Es war, als wäre ihr Bekenntnis das Signal für die Droge gewesen, jetzt endlich richtig loszulegen: Noch verstärkt von all dem Zucker in der Cola, den Süßigkeiten und dem Slush Puppie sowie dem Bourbon und dem Haschöl, begann das Acid durch meine Venen zu kreisen – und der Film wurde so real für mich, als säße ich bei diesen Leuten zu Hause. Ben geht bei den Robinsons vorbei und findet raus, dass Mrs. Robinson ihrer Tochter Elaine davon erzählt hat, bloß mit Ben gevögelt zu haben, damit diese sich nicht mehr mit ihm trifft.
Ich kletterte auf meinen Sitz und brüllte: »Du beschissene Schlampe!« So aufgebracht war ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Die Leute hinter mir beschwerten sich lauthals, und der Typ mit der Taschenlampe eilte herbei.
Skye kreischte vor Lachen – sie amüsierte sich prächtig.
Als Ben dann gegen die Glastür der Kirche trommelte, packte mich endgültig die blanke Wut. Von unten brandete ihm die geballte Entrüstung der Hochzeitsgesellschaft entgegen. Sie sahen alle aus wie Nazischweine – ein Ozean blonder, blauäugiger, arischer Herrenmenschen mit scharfen, strahlend weißen Zähnen, Haifischzähnen, mit denen sie den armen jüdischen Jungen geifernd vor Zorn anfletschten. Augen und Zähne glitzerten wie Chrom.
Ich wand mich in meinem Sitz und wimmerte. »Hau da ab, Ben. Hau bloß ab, Mann. Sie werden dich killen!« Die Kamera zoomte auf Mrs. Robinsons Gesicht, die Fänge gebleckt wie eine tollwütige Ratte.
Sie war der Teufel, das personifizierte Böse. Ich brüllte in Panik – » LAUF, BEN! LAUF! « – und wollte die Bourbonflasche gegen die Leinwand werfen, aber Skye, das Gesicht vom Lachen tränennass, griff nach meinem Arm und hielt mir den Mund zu. Von hinten zielte jemand mit einem Becher Popcorn auf mich.
Als sie draußen im Bus saßen und alles vorbei war, verweilte die Kamera auf Ben. Der Ausdruck in seinem Gesicht war … was war es? Erleichterung? Angst?
Ich wusste es nicht. Ich wusste es einfach nicht.
Skye ergriff meine Hand und führte mich behutsam durch die Lobby. Ich will mir gar nicht ausmalen, was für ein Bild wir abgaben: das hysterisch kichernde Mädchen
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