Music from Big Pink: Roman (German Edition)
mit dem stolpernden, heulenden, plärrenden Wrack im Schlepptau. Durch den Rotz und die Tränen stammelte ich auf sie ein.
»Ob … ob sie glücklich miteinander werden?«
»Wer?«
»Ben und Elaine? Werden sie’s schaffen?«
Wir traten hinaus auf die Straße, in den Schnee, und sie wischte mir die Tränen mit ihrem Ärmel ab.
»Na klar, ganz sicher werden sie das. Sie lieben sich. Jetzt beruhig dich wieder, komm runter, atme tief durch, und dann ziehen wir los und amüsieren uns.«
Mit einem langen Atemstoß versuchte ich alles rauszulassen, aber all die ungeweinten Tränen schnürten mir immer noch Brust und Kehle zu.
»Macht dich das denn gar nicht verrückt, Skye?«
»Scheiße, doch!«
Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und sah mir tief in die Augen. »Greg, der Grund, warum dich das so mitnimmt, ist, dass du glaubst, du wärst genau wie Ben: ein junger Mann, der nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Der Angst hat, dass es ihm jeden Augenblick durch die Finger rinnt. Aber weißt du was? Es wird alles gut. Du musst es nur zulassen. Hör auf, dagegen anzukämpfen.«
Ich erwiderte ihren Blick und sah zum ersten Mal, dass sie grüne Augen hatte. Sie lächelte und gab mir einen Kuss auf die Wange.
Wir brauchten eine Stunde, um die kurze Strecke nach Woodstock zurückzufahren – die Straße, die Nacht und die Autos flimmerten wie ein Film über die Windschutzscheibe. Und als wir schließlich bei ihr zu Hause waren, hatte mich ein warmes Gefühl der Zufriedenheit erfasst. Skye schenkte uns Brandy ein, und ich legte mich auf die Couch.
Warrens Mitbewohner hatten eine unglaubliche Hi-Fi-Anlage, echter High-End-Shit, und ich sah Skye dabei zu, wie sie ein Band ins Tonbandgerät einfädelte. »Das musst du dir unbedingt anhören«, sagte sie.
Sie legte sich auf den Boden. Erst hörten wir gar nichts, dann erfüllte das Rauschen des Tapes die Stille – und dann, mit einem Mal, war da ein Piano, eine Orgel, Schlagzeug, Gitarre, Bass und schließlich Richards Stimme: sanft, verhalten.
»Bessie was more than just a friend of mine.
We shared the good times and the bad …«
Der Rhythmus entfaltete sich, anmutig, voller Würde. Garths Orgel plätscherte erst dahin und ergoss sich dann in die Räume zwischen den Beats, um sich schließlich, mit dem Einsetzen des Gesangs, im Schatten des Tracks zu verlieren. Der Refrain brandete auf, und mir wurde klar, dass der Song von der Blues-Legende Bessie Smith handelte. Er klang anders als alles, was ich je zuvor gehört hatte, und gleichzeitig, als wäre die Aufnahme Ewigkeiten verschüttet gewesen und eben erst wieder der Erde entrissen worden. Sie war irgendwie matschig und holprig abgemischt, die Vocals klangen etwas dumpf, aber man verstand genug vom Text. Und als ich hörte, wie Rick »The best thing I ever had« sang, schloss ich die Augen und spürte das Kräuseln und Kribbeln der Gänsehaut an jenen Stellen, an denen ich es nur bei Musik fühlte, die so gut war.
Der Song trudelte in einer perfekten Akkordfolge aus. Alles war vorbei, die letzten Noten des Klaviers und der Orgel hingen noch einen Moment lang in der Luft, bis sie wie Jubel verhallten. Wir lagen beide da und lauschten unserem Atem. Nach einem Augenblick sagte ich: »Wie kann es sein, dass ich diesen Song noch nie gehört habe?«
»Sie haben ihn gerade erst aufgenommen.«
»Nein, ich meine die Originalversion.«
»Welche Originalversion?«
»Ich meine, wer hat das geschrieben?«
»Rick und Robbie«, lachte sie.
Es dauerte dreißig Sekunden, bis ich das verdaut hatte.
»Du willst mich auf den Arm nehmen«, flüsterte ich, unsicher, ob ich lachen oder weinen sollte. Aber sie hörte mich nicht. Sie war bereits dabei, das Band zurückzuspulen, um es noch einmal laufen zu lassen.
Es haute mich einfach um, dass diese Jungs – Jungs, die wir kannten, die bei uns um die Ecke wohnten, die im selben Alter waren wie wir, die eigentlich nur ein paar Begleitmusiker waren – imstande waren, solche Songs zu schreiben. Dylan, okay, den nimmt man als höheres Wesen wahr, als jemanden, wie er alle dreißig Jahre mal von den Sternen herabsteigt. Aber die Jungs von den Hawks: Achtzehn Monate bevor sie nach Woodstock gezogen waren, hatten sie noch in denselben Dreckslöchern in und um Toronto gespielt, wo auch ich und meine Freunde für irgendwelche besoffenen Penner »High Heel Sneakers« und »Walkin’ The Dog« zum Besten gegeben hatten.
Ich hatte ein bisschen was von der Musik
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