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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Totenwache in eine spontane Party.
    * * *
    Mit einem Martini, einem Blatt Papier und einem Stift saß ich am Küchentisch und genoss die zur offenen Hintertür hereinfallende Sonne. Ich versuchte, einen Song zu schreiben. Mir schwirrte bereits eine Melodie und eine erste Zeile durch den Kopf – »She left unexpectedly …« –, die ich ganz gut fand. Es hatte was von den Beatles, so mit der Tür ins Haus zu fallen, wisst ihr? Die Leute sollten sich fragen: »Wer ist sie?«, »Warum ist sie gegangen?«, »Wo will sie hin?« Ich notierte die Worte und ein, zwei Akkorde, nahm meine Gitarre und klimperte ein bisschen herum, auf der Suche nach einem Reim auf »unexpectedly«. »To see«? »Da da deeh«, irgendwas mit »be«? Ich hörte, wie Alex oben herumwanderte, als er sich anzog. Er hatte die Doors aufgelegt, Jim Morrisons Gejaule war nicht zu ignorieren. Es war einer dieser abgefahrenen Sommertage, die es manchmal im Frühling gibt, an denen das Wetter nicht einfach nur gut ist. Es war richtig gut . Doch irgendwas mit »see«? »Be«? Zu naheliegend. Was würde Dylan tun? Einen Namen ins Spiel bringen? Vielleicht irgendwas Biblisches? »Mary«? Reimte sich zwar nicht so richtig, aber wenn man es »May-reee« sang …
    Mary … Maria … Heilige Maria, Songs zu schreiben war eine Schweinearbeit. Ich dokterte nun bereits seit Monaten an dem Scheißteil rum.
    Ich zündete mir einen Joint an und versuchte, mir irgendwelche Bibelszenen ins Gedächtnis zu rufen. Mir fiel wieder ein, wie ich bei der Beerdigung meiner Mutter zu dem Kirchenfenster hinaufgesehen hatte. Und dann erinnerte ich mich daran, dass ich dabei nichts empfunden hatte. Das war nicht gut, irgendwas sollte bei so einem bekackten Song schließlich in einem vorgehen. Was empfand ich gerade? »Father? Yes, Son? I want to kill you.« Das kam von oben. Alex hatte die Lautstärke aufgedreht. Ich schloss die Tür. Was fühlte ich gerade, wonach sehnte ich mehr als alles andere?
    Ich wollte Skye ficken und von ihr hören, dass sie mich liebte. »Fuck me and tell me that you love me.« Nach Dylan klang das nicht gerade.
    Skye war immer so verdammt widersprüchlich . Manchmal rief sie an, und wir redeten eine Zeit lang über dies und das, allen möglichen Quatsch. Vor zwei, drei Wochen war sie ein paar Tage lang nicht zu ihren Vorlesungen gegangen – einige Antikriegs-Demonstranten waren in die Büros der Columbia eingebrochen und hatten das College übernommen. Vermutlich die Sorte Kids, die man ständig auf der Camelot Road sah, wo sie nach Dylans Haus suchten, um ihm ihre Notizbücher und Kameras entgegenzustrecken und ihn zu löchern, was zur Hölle er wegen Vietnam zu unternehmen gedenke. Der Dekan hatte die Cops gerufen, um sie rauszuwerfen, und Skye sagte, die Bullen hätten ein paar von ihnen ordentlich vermöbelt. Wenn sie einem erzählte, sie würde dies oder jenes tun, dann hörte man später immer von jemand anderem, dass sie doch ganz was anderes getan hatte. Sie hatte gesagt, die Sache mit Rick würde zu nichts führen, und doch trieb sie sich an den Wochenenden hier rum, wo man die beiden auf der Tinker Street zusammen beim Einkaufsbummel sah. Widersprüchlich. Konträr. »Contrary.« – »Unexpectedly.« Verdammt, das reimte sich, oder zumindest so gut wie. Ich hatte das Wort »contrary« noch nie in einem Song gehört. Es war ein cooles Wort. »She left unexpectedly, she was always so contrary.« Schnell schrieb ich es auf.
    Durch den Erfolg angestachelt, schrammelte ich die paar Akkorde, die ich bisher hatte. Dazu sang ich die Worte, versuchte sie dem Akkordwechsel anzupassen und überlegte fieberhaft, wie der Song weitergehen könnte. An der Tür ertönte ein lautes Klopfen, und Richard grinste schüchtern durch das löchrige alte Fliegengitter. »Scheiße, hast du mich erschreckt!«, sagte ich ein wenig verlegen – es hätte ja sein können, dass er schon länger dort stand. »Komm rein.«
    »Entschuldige.« Er trug Sommerklamotten – Sonnenbrille, karierte Shorts, gestreiftes T-Shirt und Sandalen – und hatte eine Plastiktüte in der Hand. »Was machst du gerade?«
    »Hab nur ein bisschen rumgesponnen«, sagte ich und legte die Gitarre rasch beiseite. »Möchtest du einen Kaffee oder so?«
    »Hättest du ein Bier? Ist ganz schön heiß heute.«
    Er setzte sich an den Tisch, und ich holte ihm ein Rolling Rock aus dem Kühlschrank. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, wie er auf das Blatt Papier schielte. »Schreibst du einen

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