Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Ich konnte den Mond sehen, und auf der Stelle ging mir eine Zeile von der Platte durch den Kopf: »Fell asleep until the moonlight woke me, and I could taste your hair.« Aus den Boxen ertönte ein leises Knistern und Rauschen – die Nadel zog beständig ihre Kreise in der Auslaufrille. Als ich mir die Augen rieb, waren meine Knöchel feucht und salzig.
Ich stand auf und ging durch die Küche. Auf dem Tisch lag noch immer das Blatt Papier mit meinen Worten und Richards Akkorden darauf. Ich hob es auf und las. Tatsächlich, ich hatte halbwegs richtig gelegen: C – E7 – a-Moll – F.
Ich zerriss den Zettel in zwei, vier, acht Stücke und warf alles in den Müll.
* * *
Vielleicht fühlte sich dieser Frühling so nach Sommer an, weil sich der Winter scheinbar endlos in die Länge gezogen hatte. Die Maisonne brannte über der Stadt, und die Hitze brachte die Straßen und Bürgersteige zum Dampfen. Urplötzlich liefen die Leute in Hemdsärmeln und Sommerkleidern herum, saßen im Grünen und in den Cafés, wo sie Eiscreme schleckten, Limo tranken und Zeitung lasen. Die vorbeifahrenden Autos wirbelten gelbe Staubwolken auf, aus ihren offenen Fenstern dröhnte Musik. Alex und ich waren gerade auf dem Weg zum Wagen, um Lebensmittel einzukaufen, als Rick neben uns hielt und aus seinem großen Continental stieg. Cool wie immer, hatte er sich seinen weichen Filzhut tief ins Gesicht gezogen. »Hi, Greg«, sagte er. Er hatte jetzt eine neue Freundin, ein Mädchen namens Grace, und wir sahen uns nicht mehr so häufig, seit die Jungs aus dem pinkfarbenen Haus ausgezogen waren.
»Hi, Mann. Wie läuft’s?«
»Bestens. Habt ihr schon das Neueste gehört?«
»Nö.«
»Von Richard?« Lachend schüttelte er den Kopf.
»Scheiße, was?« Was jetzt? Hatte er schon wieder einen Unfall gebaut? Sich irgendwas gebrochen? Eine Überdosis Valium eingeworfen?
»Von seiner Hochzeit?« Rick konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
»Du meinst die Hochzeit seines Bruders?«
»Nein, Alter. Seine Hochzeit: Er fährt zur Trauung seines Bruders, nimmt Jane mit, und – zack – sind die beiden verheiratet.«
»Richard und Jane haben geheiratet?«
»Allerdings! Nachdem er sie zwei Jahre lang so gut wie nicht gesehen hat, fährt er mit ihr für eine Woche nach Kanada und hat dann nichts Besseres zu tun, als sie vom Fleck weg zu heiraten!«
Es war verrückt, total impulsiv. Aber typisch Richard.
elf
»I believe I know what we should do …«
Wir saßen bloß da und sprachen kein Wort. Eine gefühlte Ewigkeit beobachtete ich, wie ein Tropfen Bier unendlich langsam an meinem beschlagenen Glas hinabrann. Als er auf einen anderen Tropfen traf, vereinigten sich die beiden zu einem großen, der immer schneller wurde und eine kleine Pfütze auf dem Tischtuch hinterließ, als er den Boden des Glases erreichte. Die Geräuschkulisse der anderen Mittagsgäste schien in der zwischen uns herrschenden Stille anzuschwellen. Sie steckte sich eine Zigarette an, setzte die Sonnenbrille auf und starrte auf die sonnige Tinker Street hinaus. Sie schluckte, und ich sah, wie der Kloß ihre Kehle hinabwanderte.
Ich hatte eigentlich nicht geplant, es ihr zu erzählen. Ich fühlte mich dadurch nicht gut oder besser und erhoffte mir auch keine neue Chance bei ihr. Aber da sie seit ein paar Wochen nicht mehr hier gewesen war, hatte sie noch nichts davon gehört. Jeder wusste davon. Sie würde unweigerlich davon erfahren. Als sie also wieder in der Stadt war, lud ich sie auf ein Bier ein und erzählte ihr, was ich wusste: von der Hochzeit seines Bruders, wie er Jane dort wiedergesehen hatte, von dem Antrag. Als das Wort »geheiratet« fiel, verharrte ihr Glas auf halbem Weg zu ihren Lippen. Erst als der Schaum bereits zusammenfiel, blickte sie mir ins Gesicht und sagte leise: »Er hat … geheiratet?«
Ich steckte mir eine Zigarette an und verfolgte ihre Reaktion. Nicht eine einzige Träne quoll hinter ihrer pink getönten Sonnenbrille hervor. »Na dann«, sagte sie nach einiger Zeit und hob den Finger, als die Kellnerin vorbeikam, »einen Wild Turkey, bitte.«
Es war schon dunkel, als wir zurück zum Haus kamen, und Skye war so betrunken, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Ich machte gerade Kaffee in der Küche, als sie hereinschwankte und mit der Hüfte am Türrahmen hängen blieb. In der Hand hielt sie die schwere Schallplatte mit dem weißen, unbeschrifteten Label. »Wieso ist die so schwer?«, fragte sie, wobei sie einen kleinen Schluckauf
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