Muss ich denn schon wieder verreisen?
Genesungsurlaub bis zum Jahresende eingebracht, nur unterbrochen von täglich einer Stunde Gymnastik bei einer sehr hübschen und sehr jugendlichen Therapeutin. Und Steffi hatte sich zum elftenmal entschlossen, es mit Horst Hermann doch noch mal zu versuchen. Die Abstände, in denen sie abends samt Übernachtungsköfferchen vor der Tür stand, waren seit dem Sommer zwar immer kürzer geworden (und die Asyldauer immer länger), doch zur endgültigen Trennung hatte es auch nach dem zehnten Krach noch nicht gereicht. Zur Zeit pendelte sie zwischen zwei Wohnungen, fühlte sich in keiner zu Hause und überlegte schon seit Tagen, ob sie sich nicht endlich eine eigene suchen sollte. Darüber wollte sie nun ganz gründlich nachdenken, aber das könne sie nur, wenn sie möglichst weit weg sei. Am besten gleich neuntausend Kilometer.
»Daran hindert dich doch niemand.«
»Natürlich nicht. Aber allein ist das langweilig, und du hast in diesem Jahr doch auch noch keinen Urlaub gehabt.« »Das Jahr hat ja gerade erst angefangen. Weshalb muß ich da schon wieder verreisen?«
Diese Frage schien über Steffis Horizont zu gehen. »Du sollst ja nicht müssen, sondern du darfst wollen. Hast du nicht selbst gesagt, dein Israel-Trip sei ganz schön anstrengend gewesen? Nun erhol dich endlich davon! Ob du deinen Jahresurlaub jetzt nimmst oder später, ist doch egal.«
Offenbar meinte sie es tatsächlich ernst. »Wie stellst du dir das überhaupt vor? Ich kann doch nicht schon wieder abhauen und Papi den Kochkünsten der Zwillinge überlassen. Ich weiß ja, daß sich ihr Repertoire inzwischen um Blumenkohlauflauf, Frikadellen und Kaiserschmarrn erweitert hat, aber das genügt noch immer nicht.«
»Määm, die Zwillinge sind achtzehn!!! Mit dem, was sie schon kochen können, ist die Verpflegung für eine Woche sichergestellt. In den Faschingsferien fahren sie zum Skilaufen, und Papi will zu Onkel Felix nach Düsseldorf. Karneval am Rhein! Um den brauchst du dir also keine Sorgen zu machen. Wenn die drei zurückkommen, sind wir auch wieder da.«
Sie trabte davon und holte den Küchenkalender. »Heute haben wir Mittwoch, den 4., Rosenmontag ist am 23., und am 27. kommen wir zurück. Die Mädchen trudeln erst zwei Tage später ein. Also wo liegt das Problem?«
»In der Tür!«
»Mit der du mir ins Haus gefallen bist. Mir geht das alles zu schnell. Mein Verantwortungsbewußtsein – du kannst es auch mit Gluckenkomplex umschreiben – verbietet mir diese Reise, mein Bankkonto sowieso …«
»Glaube ich nicht«, unterbrach Steffi meine sorgfältig formulierten Argumente. »Das ist ein Last-minute-Angebot, und deshalb mußte ich mich auch so schnell entscheiden.«
»Also schön, finanziell könnte ich das vielleicht noch verkraften, aber moralisch nicht.«
»So, kannste nicht? Wegen deiner Gluckenmentalität. Und was ist mit mir? Gehöre ich nicht mehr zu deinen Küken? Wenn jetzt einer seelischen Beistand braucht, dann bin ich es. Schließlich stehe ich vor der entscheidendsten Frage meines Lebens! Falls ich nicht schleunigst Abstand gewinne und mal mit jemandem reden kann, heirate ich Horst Hermann am Ende doch noch. Dabei will ich das gar nicht.«
Ich auch nicht! Horst Hermann war zwar ein recht umgänglicher Mensch und durchaus sympathisch, aber für Steffi einfach zu alt. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte sie das nicht wahrhaben wollen, jetzt schien sie wohl selbst dahintergekommen zu sein. »Müssen wir die Überlegungen unbedingt auf einer Malediven-Insel anstellen?«
»Auf Mallorca ist es noch zu kalt«, bekam ich zur Antwort.
Im übrigen hatte sie das Terrain schon vorbereitet. Ihrem Vater paßte es ganz gut in den Kram, daß ich meine ›Will-Reise‹ jetzt schon antreten würde, dann könnte er wenigstens mit ruhigem Gewissen im Sommer nach Schottland zum Angeln fahren. Das sei auch der Grund, weshalb er sich mit Freund Felix treffen wolle. Man müsse die Reiseroute festlegen und Informationen einholen. Die wenig arbeitsintensive Zeit des Düsseldorfer Karnevals sei dazu am besten geeignet. Das jedenfalls habe Felix behauptet.
Sven war, wohlversehen mit ärztlichen Ratschlägen und der Telefonnummer seiner Therapeutin, in seine Gartenbau-Firma zurückgekehrt, während Sascha irgendwo in der Karibik betuchten Kreuzfahrt-Passagieren Hummer und Mangoparfait servierte. Die beiden brauchten also keine Betreuung mehr.
Den Zwillingen war sowieso alles egal. Ihre Halbjahreszeugnisse waren zu ihrer (und unserer!) Überraschung
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